Das dunkle Paradies
Seite geschleudert und fällt neben mir ins Gras. Tot.
Davy steht mit seiner Pistole über mir, die Mündung raucht noch. Seine Nase und seine Lippen sind blutig, er hat genauso viele Kratzer abbekommen wie ich und steht ganz schief da.
Aber er lächelt.
»Hab dir das Leben gerettet.«
Das Schießen geht weiter. Die Spackle sind auf der Flucht, aber sie finden nirgends Zuflucht. Sie fallen und fallen und fallen.
Ich betrachte meinen Ellbogen. »Ich glaube, mein Arm ist gebrochen.«
»Ich glaube, mein Bein ist gebrochen«, sagt Davy, »aber du gehst jetzt zurück zu Pa. Erzähl ihm, was passiert ist. Erzähl ihm, dass ich dir das Leben gerettet habe.«
Davy schaut mich nicht an, er hat noch die Pistole in der Hand und schießt, dabei hält er sich nur taumelnd auf den Beinen.
»Davy …«
»Geh!«, ruft er, und eine grimmige Genugtuung spricht aus ihm. »Ich habe hier noch was zu erledigen.« Und er gibt wieder einen Schuss aus der Pistole ab. Noch ein Spackle stürzt zu Boden. Überall stürzen sie zu Boden.
Ich gehe einen Schritt auf das Tor zu. Dann noch einen.
Und dann fange ich an zu rennen.
Die Schmerzen in meinem Arm pochen bei jedem Schritt, aber Angharrad sagt Menschenfohlen , als ich zu ihr komme, und schnüffelt mit ihrer feuchten Nase über mein Gesicht. Sie geht auf die Knie, sodass ich mich bequem in den Sattel fallen lassen kann. Sie wartet, bis ich aufrecht sitze, dann fällt sie in den schnellsten Galopp, den sie je vorgelegt hat. Mit einer Hand halte ich mich an ihrer Mähne fest, den verletzten Arm presse ich fest an mich, und ich habe alle Mühe, mich nicht vor Schmerz zu übergeben.
Ab und zu blicke ich auf, sehe die Frauen an den Fenstern stehen und mich beobachten. Die Männer schauen meinem Pferd hinterher, sehen in mein schmutziges, zerschundenes Gesicht.
Und ich frage mich, wen sie glauben, vor sich zu haben.
Halten sie mich für einen von ihnen?
Oder sehen sie in mir ihren Feind?
Wer, glauben sie, bin ich?
Ich schließe die Augen, doch dabei verliere ich beinahe das Gleichgewicht, deshalb schlage ich sie wieder auf.
Angharrad trägt mich bis zur Kathedrale, ihre Hufe schlagen Funken aus den Pflastersteinen, als sie um die Ecke biegt, hinter der sich der Haupteingang befindet. Die Armee exerziert auf dem Vorplatz. Die meisten Soldaten haben noch immer keinen Lärm, aber das Dröhnen ihrer Stiefel lässt die Luft erzittern.
Ich zucke bei diesem Anblick zusammen und blicke zum Haupttor der Kathedrale.
Und mein Lärm röhrt auf vor Schreck, sodass Angharrad wie angewurzelt stehen bleibt, auf den Pflastersteinen schlittert, ihre Flanken dampfen, weil sie mich so schnell hierhergetragen hat.
Aber ich nehme es nur am Rande wahr.
Mein Herz stockt.
Mein Atem stockt.
Denn da steht sie.
Vor meinen Augen geht sie die Treppe zur Kathedrale hinauf.
Sie ist wahrhaftig da.
Und mein Herz fängt wieder an, wie wild zu schlagen, mein Lärm will ihren Namen laut herausschreien und ich spüre meine Schmerzen nicht mehr.
Denn sie ist am Leben.
Sie ist am Leben.
Aber dann sehe ich noch etwas.
Sie geht die Treppe hoch …
auf Bürgermeister Prentiss zu …
in seine weit ausgebreiteten Arme …
und er umarmt sie …
und sie lässt es zu …
und alles, was ich denken kann …
alles, was ich sagen kann …
ist …
»Viola?«
TEIL III
Der Krieg ist vorbei
12
Der Verrat
(VIOLA)
Da steht Bürgermeister Prentiss.
Der Führer dieser Stadt, der Herr der Welt.
Die Arme weit ausgestreckt.
Als wäre das der Preis.
Soll ich ihn bezahlen?
Es ist ja nur eine Umarmung, denke ich.
(Oder nicht?)
Ich mache einen Schritt auf ihn zu …
(Nur eine Umarmung.)
… und er schlingt die Arme um mich.
Ich bemühe mich, nicht zu erstarren, als er mich berührt.
»Ich habe es dir noch gar nicht erzählt«, flüstert er mir ins Ohr. »Als wir hierhermarschiert sind, haben wir dein Schiff im Sumpf gefunden. Wir haben deine Eltern gefunden.«
Kaum kann ich ein Schluchzen unterdrücken, ich kämpfe gegen die Tränen an.
»Wir haben sie beerdigt, wie es sich gehört. Es tut mir so leid, Viola. Ich weiß, wie verlassen du dich fühlen musst, und nichts würde mir mehr Freude machen, als wenn du mich eines Tages vielleicht als deinen …«
Plötzlich höre ich etwas über das Dröhnen hinweg.
Ein klein bisschen Lärm, das sich über alle anderen Geräusche erhebt, schnell wie ein Pfeil …
… wie ein Pfeil, der direkt auf mich zufliegt.
Viola! , schreit es, zermalmt die Worte aus
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