Das dunkle Paradies
am Rand des Grabs aufgestellt haben. Eine nach der anderen geht am Grab vorbei und wirft eine Handvoll Erde auf die Holzkiste, in der Maddy nun ruht. Alle machen einen Bogen um mich.
Niemand außer Mistress Coyle redet mit mir.
Sie geben mir die Schuld.
Ich gebe mir ja selbst die Schuld.
Mehr als fünfzig Frauen sind hier, Heilerinnen, Gehilfinnen, Patientinnen. Soldaten haben einen Kreis um uns gebildet, es sind mehr von ihnen hier, als man bei so einer Beerdigung annehmen würde. Die Männer, unter ihnen auch Maddys Vater, stehen getrennt von den Frauen auf der anderen Seite des Grabs. Ich glaube, das Weinen im Lärm von Maddys Vater ist das Traurigste, was ich je gehört habe.
Und ich fühle mich noch mehr schuldig, weil ich fast nur an Todd denken kann.
Jetzt, da ich ihn nicht mehr höre, erkenne ich die Verwirrung in seinem Lärm umso deutlicher, ich begreife, wie es auf ihn gewirkt haben muss, mich in den Armen des Bürgermeisters wiederzufinden, welch vertrauten Eindruck wir auf ihn gemacht haben müssen.
Obwohl ich ihm alles erklären kann, schäme ich mich doch sehr.
Ich werfe meine Handvoll Erde auf Maddys Sarg, dann nimmt mich Mistress Coyle beiseite. »Wir müssen miteinander reden.«
»Er will mit mir zusammenarbeiten?«, fragt Mistress Coyle, eine Tasse Tee in der Hand, in meinem kleinen Schlafzimmer.
»Er sagt, er bewundere Euch.«
Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Tut er das inzwischen?«
»Ich weiß«, erwidere ich. »Ich weiß, wie das klingt, aber wenn Ihr ihn gehört hättet …«
»Oh, ich glaube, ich habe genug von deinem Präsidenten gehört, es reicht für eine Weile.«
Ich lasse mich auf mein Bett zurückfallen. »Aber er hätte mich, wie soll ich sagen, er hätte mich zwingen können, ihm von unseren Schiffen zu erzählen. Aber er zwingt mich zu gar nichts.« Ich blicke zur Seite. »Ich darf morgen sogar meinen Freund sehen.«
»Deinen Todd?«
Ich nicke. Ihr Gesicht ist wie versteinert.
»Deshalb bist du ihm so dankbar, vermute ich.«
»Nein.« Ich reibe mir übers Gesicht. »Ich habe gesehen, was seine Soldaten nach dem Einmarsch getan haben. Mit meinen eigenen Augen.«
Wir beide schweigen lange.
»Aber?«, fragt Mistress Coyle schließlich.
Ich sehe sie nicht an. »Aber er hängt den Mann, der Maddy erschossen hat. Er lässt ihn morgen hinrichten.«
Sie stößt einen abschätzigen Laut aus. »Was bedeutet einem Menschen wie ihm ein weiterer Mord? Was bedeutet ihm ein Menschenleben mehr oder weniger? Es ist typisch für ihn, dass er glaubt, das Problem auf diese Weise lösen zu können.«
»Es schien ihm aufrichtig leidzutun.«
Sie schaut mich von der Seite an. »Das glaub ich gern. Genau so will er wirken.« Leise fügt sie hinzu: »Er ist der Präsident der Lügen, Mädchen. Er lügt so gut, dass du seine Lügen für die Wahrheit hältst. Der Teufel erzählt die schönsten Geschichten. Hat dir das deine Mutter nicht beigebracht?«
»Er hält sich nicht für den Teufel«, erwidere ich. »Er hält sich für einen Mann, der einen Krieg gewonnen hat.«
»Beschwichtigung«, sagt sie. »So nennt man das wohl. Beschwichtigung. Das ist eine gefährliche Taktik.«
»Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass du mit dem Feind zusammenarbeiten willst. Dass du dich auf seine Seite schlägst, statt ihn zu bekämpfen. Das ist der todsichere Weg, um ihm für immer unterlegen zu sein.«
»Das will ich nicht!«, schreie ich laut. »Ich möchte nur, dass das alles aufhört. Ich möchte, dass die Menschen, die bald kommen, eine Heimat finden. Die Heimat, die wir alle ersehnt haben.« Meine Stimme stockt. »Ich möchte nicht, dass noch jemand stirbt.«
Sie stellt ihre Tasse Tee ab, legt die Hände auf die Knie und schaut mich forschend an. »Bist du sicher, dass du das willst?«, fragt sie mich. »Oder sagst du das, weil du alles für den Jungen tun würdest?«
Ich frage mich, ob sie meine Gedanken lesen kann.
(Ja, ich will Todd wiedersehen.)
(Ich will ihm alles erklären.)
»Deine Loyalität gilt ganz offensichtlich nicht uns«, fährt Mistress Coyle fort. »Und nach deiner kleinen Eskapade mit Maddy fragen sich einige unter uns, ob du nicht eher eine Gefahr als ein Gewinn für uns bist.«
Gewinn , sagt sie.
»Nur dass du es weißt«, seufzt sie, »ich gebe dir nicht die Schuld an Maddys Tod. Sie war alt genug, um selbst zu entscheiden, was sie tut, und wenn sie dir helfen wollte, nun denn.« Sie streicht sich mit den Fingern über die Stirn. »Du hast so viel
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