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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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Boden liegend wieder, Rauchwölkchen fliegen, tanzen um mich herum, Flammen regnen vom Himmel, und wie ich daliege, einen kurzen Augenblick lang, scheint es mir beinahe friedlich, beinahe schön um mich herum. Und erst dann bemerke ich, dass ich nichts mehr höre, nur noch ein schrilles Pfeifen, das die Geräusche der Menschen um mich herum erstickt, die taumelnd versuchen aufzustehen, die ihren Mund bewegen, wohl um zu schreien. Und ich setze mich langsam auf, die ganze Welt ist noch immer von pfeifender Stille bedeckt, und da ist der Soldat mit dem Fleck auf dem Nacken, er liegt neben mir auf dem Boden, verschüttet unter Holztrümmern, er wollte mich wohl vor der Druckwelle schützen, denn mir fehlt eigentlich nichts, aber er liegt da und bewegt sich nicht.
    Er bewegt sich nicht.
    Langsam kehren die Geräusche zurück und dann höre ich die Schreie.
    »Genau das wollte ich nicht. Ich wollte nicht, dass sich so etwas wiederholt«, sagt der Bürgermeister und blickt gedankenverloren in den Lichtkegel, den das Buntglasfenster erzeugt.
    »Ich wusste nichts von einer Bombe«, sage ich nun schon zum zweiten Mal, meine Hände zittern noch, und in meinen Ohren klingelt es noch so laut, dass ich kaum höre, was er sagt. »Von keiner einzigen.«
    »Ich glaube dir«, sagt er. »Du wärst ja beinahe selbst umgekommen.«
    »Ein … ein Soldat hat mich vor dem Schlimmsten bewahrt«, stottere ich.
    Ich muss an seinen Leichnam denken, daran, wie er blutete, und an die Splitter, die überall in seinem Körper steckten.
    »Sie hat dich wieder mit Drogen betäubt, nicht wahr?«, sagt er und starrt zu dem bunten Fenster hinauf, als könnte er dort eine Antwort finden. »Sie hat dich betäubt und dich dann im Stich gelassen.«
    Das trifft mich wie ein Schlag mitten ins Gesicht.
    Sie hat mich tatsächlich im Stich gelassen.
    Und eine Bombe gezündet, die einen jungen Soldaten tötete.
    »Ja«, sage ich schließlich. »Sie sind weggegangen. Alle sind weggegangen.«
    »Nicht alle.« Er tritt hinter mich, wird zu einer bloßen Stimme im Raum, aber er redet so laut und deutlich, dass ich alles verstehen kann. »In dieser Stadt gib es fünf Häuser der Heilung . In einem ist die Belegschaft noch vollzählig, in drei weiteren ist ein Teil der Frauen verschwunden. Nur dein Haus wurde komplett geräumt.«
    »Corinne ist dageblieben«, sage ich leise. »Sie hat sich um die Soldaten gekümmert, die bei der zweiten Explosion verletzt wurden. Sie hat keinen Moment gezögert. Sie ging zu denen, die am schwersten verletzt waren, legte ihnen Druckverbände an, befreite ihre Atemwege und …«
    »Ich werd’s mir merken«, unterbricht er mich. Dabei stimmt es wirklich, sie rief mich zu Hilfe, und wir taten alles, was in unserer Macht stand, bis diese dämlichen Soldaten, die nicht sahen oder nicht sehen wollten, was wir machten, uns packten und wegschleppten. Corinne hat sich gewehrt, aber sie haben ihr ins Gesicht geschlagen, und dann wehrte sie sich nicht mehr.
    »Bitte, tut ihr nichts«, sage ich noch einmal. »Sie hat mit all dem nichts zu tun. Sie ist aus freien Stücken hiergeblieben, sie wollte denen helfen, die …«
    »Ich werde ihr nichts tun«, herrscht er mich an. »Genug mit diesem Gewinsel! Solange ich Präsident bin, wird keiner Frau ein Leid geschehen! Ist das so schwer zu verstehen?«
    Ich muss an die Soldaten denken, die Corinne geschlagen haben. Ich muss daran denken, wie Maddy zusammengebrochen ist.
    »Bitte, tut ihr nichts«, flüstere ich noch einmal.
    Er seufzt und fährt leiser fort: »Wir wollen nur ein paar Antworten von ihr, mehr nicht. Die gleichen Antworten, die ich auch von dir hören möchte.«
    »Ich weiß nicht, wo sie hingegangen sind«, sage ich. »Sie hat es mir nicht gesagt. Sie hat gar nichts gesagt.«
    Ich halte inne und er bemerkt es sofort. Denn sie hat ja etwas gesagt.
    Sie hat mir eine Geschichte erzählt.
    »Willst du mir etwas sagen?«, fragt der Bürgermeister. Er tritt vor mich hin und blickt mich an, plötzlich scheint er sehr interessiert zu sein.
    »Nichts«, antworte ich schnell. »Es ist nichts, nur …«
    »Nur was?« Er schaut mich gespannt an, sein Blick huscht über mein Gesicht, er versucht meine Gedanken zu lesen, obwohl ich gar keinen Lärm habe, und ich stelle mir einen Augenblick lang vor, wie sehr ihn das ärgert.
    »Sie sagte nur, dass sie ihre ersten Jahre in New World in den Bergen verbracht hat«, lüge ich. »Draußen, im Westen der Stadt, hinter dem Wasserfall. Ich dachte, sie habe

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