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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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erreiche ich das fast menschenleere Haus der Heilung und schlage die Tür hinter mir zu. Auf der Straße wimmelt es von Soldaten, es sind viel mehr als sonst, auf den Dächern sind Männer mit Gewehren, die mich nicht aus den Augen gelassen haben, einer von ihnen hat mir sogar unverschämt hinterhergepfiffen, als ich an ihm vorbeiging.
    Es ist unmöglich, zum Sendeturm zu kommen, unmöglicher denn je. Noch etwas, das sie vermasselt hat.
    Während ich wieder Atem schöpfe, wird mir bewusst, dass ich jetzt die Einzige hier bin, die man auch nur ansatzweise als Heilerin bezeichnen könnte. Vielen der Patientinnen ging es gut genug, sie konnten Mistress Coyle folgen, wo auch immer sie hingegangen ist und wer weiß vielleicht auch Bomben legt, aber immer noch liegen etwa zwei Dutzend Kranke im Bett, und jeden Tag kommen neue hinzu.
    Und ich bin so etwas wie die schlechteste Heilerin, die New Prentisstown je gesehen hat.
    »Oh, steh mir bei!«, flüstere ich mir zu.
    »Wo sind die anderen denn alle hin«, fragt mich Mrs Fox, kaum dass ich ihr Zimmer betreten habe. »Es gab kein Essen, keine Medikamente.«
    »Es tut mir leid«, sage ich und mache mich an ihrer Bettpfanne zu schaffen. »Ich bringe das Essen so schnell wie möglich.«
    »Du lieber Himmel«, ruft sie aus und reißt die Augen auf, als ich mich umdrehe. Ich betrachte die Rückseite meines weißen Umhangs, genau die Stelle, auf die sich ihr Blick geheftet hat. Ein schmutziger Streifen vom Blut des jungen Soldaten zieht sich bis zum Saum hinab.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragt Mrs Fox.
    Ich kann nur sagen: »Ich bringe das Essen.«
    Die nächsten Stunden vergehen wie im Nebel. Sämtliche Aushilfen sind verschwunden, und ich bemühe mich, so gut es geht, für die Patientinnen zu kochen, ihnen das Essen zu bringen und sie dabei zu fragen, welche Medikamente sie nehmen und wann und wie viele, und obwohl sie sich alle wundern, was los ist, sehen sie sicher, in welcher Verfassung ich bin, und sie geben sich alle Mühe, mir zu helfen, wo es nur geht.
    Die Nacht ist schon längst hereingebrochen, als ich mit einem Tablett voll schmutzigem Geschirr um eine Ecke biege, und plötzlich steht Corinne vor mir, im Hauseingang, mit einer Hand stützt sie sich an der Wand ab, um nicht zu stürzen.
    Ich lasse das Tablett fallen und laufe zu ihr. Noch ehe ich bei ihr bin, wehrt sie mich mit einer Handbewegung ab. Als ich vor ihr stehe, zuckt sie vor Schmerz zusammen.
    Jetzt sehe ich ihre zugeschwollenen Augen.
    Und die geschwollene Oberlippe.
    Die Art, wie sie sich aufrecht hält – ihr Oberkörper ist viel zu steif –, zeigt mir, dass sie schlimme Schmerzen hat.
    »Oh, Corinne«, sage ich.
    »Bring mich … bring mich in mein Zimmer«, keucht sie.
    Ich fasse sie an der Hand, um ihr zu helfen, und dabei spüre ich, dass sie etwas in ihrer Faust versteckt hält. Sie drückt es mir in die Hand. Dann legt sie einen Finger auf die Lippen und bringt mich zum Schweigen, gerade als ich sie mit Fragen bestürmen will.
    »Ein Mädchen«, flüstert sie. »Versteckt in dem Gebüsch neben der Straße.« Sie schüttelt ärgerlich den Kopf. »Ein so junges Mädchen.«
    Ich schaue nicht nach, bis ich Corinne in ihr Zimmer gebracht habe und auf dem Weg bin, einen Verband für ihr Gesicht und Kompressen für ihren Brustkorb zu holen. Erst als ich allein im Vorratsraum bin, öffne ich meine Faust.
    Es ist ein Zettel, zusammengefaltet, außen drauf steht ein V. Auf der Innenseite stehen nur ein paar Zeilen, die eigentlich nicht viel besagen.
    »Mein Mädchen«, lese ich, »jetzt ist die Zeit gekommen, da du dich entscheiden musst.«
    Und eine Frage steht auf dem Zettel.
    »Können wir auf dich zählen?«
    Ich blicke auf.
    Ich muss schlucken.
    Können wir auf dich zählen?
    Ich falte den Zettel zusammen und stecke ihn in meine Tasche, dann nehme ich den Verband und die Kompressen und gehe, um Corinne zu versorgen.
    Die von den Leuten des Bürgermeisters schlimm geschlagen worden ist.
    Die nicht geschlagen worden wäre, wenn sie Mistress Coyle nicht verteidigt hätte.
    Die geschlagen worden ist, obwohl der Bürgermeister genau das Gegenteil versprochen hat.
    Können wir auf dich zählen?
    Kein Name steht da.
    Es steht nur da: »Die Antwort .«
    Antwort ist mit einem leuchtend blauen A geschrieben.

15
    Eingesperrt
    [TODD]
    Wumm!
    Hinter uns zerreißt der Himmel, und ein Windstoß fegt die Straße entlang, und Angharrad bäumt sich voller Angst auf, und ich stürze vom Pferd, und überall

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