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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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zurückgehen und dann mit dem Nummerieren weitermachen möchte. Wir haben zwar jetzt beide ein Gewehr, aber einen Feind anzurühren, der einen fast umgebracht hat, kostet schon ein bisschen Überwindung.
    Der Morgen ist vergangen, inzwischen ist es früher Nachmittag. Zum ersten Mal essen wir gemeinsam zu Mittag, Davy wirft mir ein Sandwich zu, es prallt gegen meine Brust.
    Wir essen und beobachten die Spackle, wie sie uns beobachten, beobachten den brennenden Leichenhaufen, beobachten die elfhundertfünfzig Spackle, die den Angriff, der so fürchterlich danebenging, überlebt haben. Sie haben sich am Rand der Felder, die wir vom Unkraut befreit haben, und längs der Klostermauern zusammengedrängt, in größtmöglicher Entfernung von uns und dem brennenden Haufen.
    »Man sollte die Leichen der Spackle in einem Sumpf versenken«, sage ich und esse mit der überanstrengten Hand mein Sandwich. »Das ist das Richtige für tote Spackle. Man legt sie ins Wasser und dann …«
    »Feuer ist gut genug für sie«, sagt Davy, der sich an die Werkzeugtasche gelehnt hat.
    »Ja, aber …«
    »Kein Aber, Schweinebacke.« Er zieht die Stirn in Falten. »Warum hast du eigentlich Mitleid mit ihnen? Deine ganze verdammte Freundlichkeit hätte sie nicht davon abgehalten, dir den Arm abzureißen.«
    Er hat Recht, aber ich bleibe ihm die Antwort schuldig, ich sehe ihnen einfach weiter zu und spüre das Gewehr, das über meinem Rücken hängt.
    Ich könnte es nehmen. Ich könnte Davy damit niederschießen. Ich könnte weglaufen von hier.
    »Du wärst tot, noch ehe du das Tor erreichst«, murmelt Davy, ohne von seinem Sandwich aufzuschauen. »Genauso wie dein Schatz.«
    Ich sage nichts darauf, esse einfach mein Sandwich fertig. Das gesamte Futter haben wir nach draußen geschaufelt, jeden Trog haben wir nachgefüllt, jede Grube haben wir mit Kalk abgedeckt. Es bleibt nichts mehr zu tun, außer dem, was wir tun müssen.
    Davy steht auf. »Wo waren wir?«, fragt er und öffnet die Werkzeugtasche.
    »0038«, antworte ich und behalte die Spackle im Auge.
    Er schaut auf die Metallstreifen und sieht, dass ich Recht habe. »Weshalb weißt du das noch?«, fragt er erstaunt.
    »Einfach so.«
    Alle schauen sie jetzt auf uns, alle. Ihre Gesichter sind eingefallen, blutunterlaufen, ausdruckslos. Sie wissen, was wir jetzt gleich tun werden. Sie wissen, was auf sie zukommt. Sie wissen, was in der Tasche ist, sie wissen, dass sie nichts dagegen tun können, sie können nur sterben, wenn sie versuchen sollten, sich dagegen zu wehren.
    Denn ich habe ein Gewehr über meinem Rücken hängen, das das erledigt.
    (Was genau bedeutet es, das Richtige zu tun?)
    »Davy«, beginne ich, aber mehr kann ich nicht sagen, denn auf einmal …
    Wumm!
    … in einiger Entfernung, man kann es fast nicht als Geräusch bezeichnen, es klingt eher wie das entfernte Brüllen eines Orkans, der gleich hier sein wird und dein Haus niederreißt …
    Wir drehen uns um, als könnten wir allen Ernstes über die hohe Mauer hinwegschauen, als würde der Rauch schon über den Baumwipfeln draußen vor den Toren aufsteigen.
    Aber wir können nicht hinüberschauen und auch der Rauch ist nicht zu sehen.
    »Diese Schlampen!«, flüstert Davy.
    Aber ich denke …
    (Ist sie es?)
    (Ist sie es?)
    (Was macht sie?)

14
    Die zweite Bombe
    (VIOLA)
    Die Soldaten warten bis zum Mittag, dann nehmen sie mich und Corinne mit. Sie müssen sie beinahe von den letzten Patienten, die sie noch behandeln will, wegzerren, und dann führen sie uns die Straße entlang, acht Soldaten, die zwei junge Mädchen bewachen. Sie würdigen uns keines Blicks, der eine neben mir ist noch sehr jung, kaum älter als Todd, so jung, dass er einen großen Wutfleck am Nacken hat, den ich aus irgendeinem verrückten Grund immer anstarren muss.
    Dann höre ich, wie Corinne aufstöhnt. Sie haben uns an dem Laden vorbeigeführt, vor dem die Bombe hochging, die Vorderseite des Hauses ist in sich zusammengefallen, Soldaten bewachen die Ruine. Unsere Bewacher gehen langsamer, um sich alles anzuschauen.
    Und dann passiert es.
    Wumm!
    Ein Knall, so laut, dass die Luft uns wie ein Faustschlag trifft, wie ein Berg aus Ziegelsteinen. Es ist, als hätte sich der Boden aufgetan und man fiele zur Seite, nach oben, nach unten, alles auf einmal. Als flöge man durch die Schwerelosigkeit des großen schwarzen Nichts.
    Zuerst spüre ich eine Leere, in der ich mich an nichts erinnern kann, dann schlage ich die Augen auf und finde mich auf dem

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