Das dunkle Paradies
einfach nur so dahergeredet.«
Er schaut mich noch immer eindringlich an, und er schweigt sehr, sehr lange, ehe er wieder beginnt auf und ab zu gehen.
»Die entscheidende Frage ist jetzt: War die zweite Bombe ein Versehen, war sie nur ein Teil der ersten Bombe, die durch bloßen Zufall später explodierte?« Er baut sich wieder vor mir auf. »Oder war es Absicht? Sollte sie später explodieren, als viele Menschen zum Schauplatz des Verbrechens gekommen waren und sie deshalb die maximale Zahl an Opfern forderte?«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »So etwas würde sie nicht tun. Sie ist eine Heilerin. Sie würde niemanden töten.«
»Einem Feldherrn ist jedes Mittel recht, um den Krieg zu gewinnen«, erwidert er. »Deshalb ist es ja ein Krieg.«
»Nein«, beharre ich. »Nein, ich glaube das nicht.«
»Ich weiß, dass du das nicht glaubst.« Er geht ein paar Schritte weg und dreht mir den Rücken zu. »Das ist auch der Grund, weshalb sie dich zurückgelassen haben.«
Von einem kleinen Tisch hebt er ein Stück Papier auf. Er hält es hoch, damit ich es sehen kann.
Mitten auf dem Zettel steht ein A in blauer Schrift.
»Sagt dir das irgendetwas?«
Ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
»Das habe ich noch nie gesehen.« Ich muss wieder schlucken und verwünsche mich selbst dafür. »Was ist das?«
Er wirft mir wieder einen langen Blick zu, dann legt er das Blatt auf den Tisch zurück. »Sie wird mit dir Verbindung aufnehmen.« Er forscht in meinem Gesicht. Ich versuche möglichst gleichgültig auszusehen. »Ja«, sagt er, als spräche er mit sich selbst. »Das wird sie. Und wenn sie das tut, dann richte ihr nur eines von mir aus, bitte.«
»Ich werde nicht …«
»Sag ihr, wir können dieses Blutvergießen auf der Stelle beenden, wir können alles beenden, noch ehe es richtig begonnen hat, ehe noch mehr Menschen sterben müssen und Frieden für immer unmöglich geworden ist. Sag ihr das.«
Er blickt mich so eindringlich an, dass ich leise sage: »Einverstanden.«
Er blinzelt nicht, seine Augen sind wie schwarze Löcher, deren Blick mich festhält. »Aber sag ihr auch: Wenn sie Krieg will, dann kann sie ihn haben.«
»Bitte …«
»Das ist alles.« Er bedeutet mir zu gehen. »Kehre in das Haus der Heilung zurück. Versorge so viele Patienten wie möglich.«
»Aber …«
Er hält mir die Tür auf. »Wir haben keine Zeit zu verplempern heute Nachmittag«, sagt er. »Angesichts der terroristischen Umtriebe müssen einige Bürgerrechte nun wohl oder übel eingeschränkt werden.«
»Terroristisch?«
»Und ich fürchte, ich werde so viel zu tun haben, um das Unheil, das deine Mistress angerichtet hat, zu beseitigen, dass das Abendessen, das ich dir für heute versprochen habe, ausfallen muss.«
Ich mache den Mund auf, aber es kommt kein Wort heraus.
Er schließt die Tür hinter mir.
Mir ist ganz schwindlig im Kopf, als ich über die Hauptstraße wanke. Irgendwo hier draußen ist Todd, und ich kann nur daran denken, dass ich ihn nicht sehen werde und ich ihm nicht alles erzählen kann, was geschehen ist, dass ich ihm nichts erklären kann, gar nichts.
Und das ist ihre Schuld.
Ganz eindeutig.
Ich sage es nicht gern, aber es ist ihre Schuld. An allem ist sie schuld. Selbst wenn sie ihre Gründe für vollkommen gerechtfertigt hält, sie ist an allem schuld. Es ist ihre Schuld, dass ich Todd heute Abend nicht sehen werde. Es ist ihre Schuld, dass Krieg droht. Ihre Schuld …
Ich komme wieder an dem zerstörten Gebäude vorbei.
Vier Menschen liegen auf der Straße unter weißen Leinentüchern, die die Blutlachen, in denen sie liegen, nicht verdecken können. Mir am nächsten, aber hinter einer Kette von Soldaten, die die Stelle bewachen, liegt der Soldat, der mich gerettet hat, unter einem Tuch.
Ich weiß nicht einmal, wie er hieß.
Und jetzt ist er tot.
Wenn sie nur ein wenig gewartet hätte, wenn sie sich nur angehört hätte, was der Bürgermeister von ihr will …
Aber dann fallen mir ihre Worte ein: »Beschwichtigung, Mädchen, ist eine gefährliche Taktik.«
Aber die Leichen hier auf der Straße …
Aber Maddy, die gestorben ist …
Aber der junge Soldat, der mir das Leben gerettet hat …
Aber Corinne, die geschlagen wurde und den Menschen nicht mehr helfen konnte …
(Oh, Todd, wo warst du da?)
(Was soll ich tun? Wie mache ich es richtig?)
»Geh weiter«, schreit mich ein Soldat an.
Ich laufe schnell weiter und dann, ohne es recht zu merken, fange ich an zu rennen.
Atemlos
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