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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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…«
    »Wie weit ist es bis zum Ozean?«
    »Zwei Tage zu Pferd.«
    »Also vier Tage zu Fuß.« Er läuft im Zimmer auf und ab. Sein Lärm sagt Ozean , und zwar so laut und deutlich wie der Knall einer explodierenden Bombe. Er sieht, wie ich ihn anschaue, sieht, dass ich es sehe. »Ich spioniere dich nicht aus«, beteuert er. »Aber man hat die Tür absichtlich offen gelassen, damit ich …« Er rauft sich verzweifelt die Haare. »Ich werde es verbergen. Ich habe die Wahrheit über Aaron versteckt, ich kann auch das verbergen.«
    Mein Magen krampft sich zusammen, als mir einfällt, was der Bürgermeister über Aaron gesagt hat.
    »Wir müssen fliehen«, sagt Todd. »Gibt es hier irgendwas zu essen, was wir mitnehmen können?«
    »Ich kann ein paar Sachen zusammenpacken«, sage ich.
    »Beeil dich.«
    Als ich gehen will, höre ich, wie sein Lärm meinen Namen ruft. Viola!, ruft er voller Sorge. Voller Sorge, dass man uns hereingelegt hat und ich vermuten könnte, man habe ihn mit Hintergedanken hierhergeschickt, und ich ihn für einen Lügner halte. Und ich kann ihn nur anschauen und seinen Namen denken.
    Todd.
    Und ich hoffe, er weiß, was ich meine.
    Ich renne in die Küche und laufe zu den Schränken. Ich schalte nur ein kleines Licht an und versuche ganz leise zu sein, während ich Essenspakete und Brotlaibe einpacke.
    »Du hast’s aber eilig, was?«, sagt Corinne.
    Sie sitzt ganz hinten, im Dunklen, an einem Tisch, vor ihr steht eine Tasse Kaffee. »Dein Freund taucht auf und schon verschwindest du.« Sie steht auf und schlendert zu mir herüber.
    »Ich muss«, sage ich. »Es tut mir leid.«
    »Dir tut es leid?«, fragt sie und zieht die Augenbrauen hoch. »Und was soll aus uns hier werden? Was soll aus den Kranken werden, die dich brauchen?«
    »Ich bin eine miserable Heilerin, Corinne, alles, was ich tun kann, ist die Kranken zu waschen und zu füttern.«
    »Damit ich die Zeit habe, meine bescheidenen Heilkünste anzuwenden.«
    »Corinne …«
    Ihre Augen blitzen. »Mistress Wyatt, bitte.«
    »Mistress Wyatt«, verbessere ich mich seufzend, und dann denke und sage ich im selben Atemzug: »Komm mit.«
    Sie scheint verwirrt, beinahe eingeschüchtert. »Wie bitte?«
    »Siehst du denn nicht, wohin das alles führt? Frauen werden eingesperrt, Frauen werden verletzt. Siehst du denn nicht, dass alles nur noch schlimmer wird?«
    »Kein Wunder, wenn jeden Tag Bomben explodieren.«
    »Der Präsident ist unser Feind«, sage ich.
    Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Glaubst du, man kann nur einen Feind haben?«
    »Corinne …«
    »Eine Heilerin zerstört kein Leben«, unterbricht sie mich. »Eine Heilerin zerstört niemals Leben. Es ist unsere heiligste Pflicht, niemandem etwas zuleide zu tun.«
    »Die Bomben sollten unbelebte Ziele treffen.«
    »Die aber nicht immer unbelebt sind.« Sie schüttelt den Kopf, ihre Miene ist mit einem Mal traurig, trauriger als je zuvor. »Ich weiß, wozu ich berufen bin. Tief im Innersten weiß ich es. Ich bin dazu da, Kranke zu heilen. Ich bin dazu da, die Verwundeten zu pflegen, das ist meine Aufgabe.«
    »Wenn wir bleiben, werden sie uns eines Tages abholen.«
    »Wenn wir gehen, werden die Kranken sterben.« Sie klingt jetzt nicht einmal mehr wütend, was mich erst recht beunruhigt.
    »Und wenn sie dich einsperren?«, frage ich herausfordernd. »Wer pflegt sie dann?«
    »Ich hatte gehofft, du würdest das tun.«
    Einen Moment lang halte ich die Luft an. »So einfach ist das nicht.«
    »Für mich schon.«
    »Corinne, wenn ich von hier wegkomme, wenn ich mit meinen Leuten Kontakt aufnehmen kann …«
    »Was dann? Es wird fünf Monate dauern, bis sie hier sind. Das hast du selbst gesagt. Fünf Monate sind eine lange Zeit.«
    Ich krame weiter in den Schränken, fülle einen Beutel mit Lebensmitteln. »Ich muss es versuchen«, sage ich. »Irgendetwas muss ich tun.«
    Ich schaue sie an, der Beutel ist jetzt prall gefüllt. »Das ist meine Aufgabe.« Ich denke an Todd, der auf mich wartet, und mein Herz klopft schneller. »Jedenfalls ist es zu meiner Aufgabe geworden.«
    Sie mustert mich wortlos, dann wiederholt sie die Worte von Mistress Coyle: »Wir haben die Wahl, was aus uns wird.«
    Ich brauche eine Sekunde, ehe ich begreife, dass dies ein Abschiedsgruß gewesen ist.
    »Warum hast du so lange gebraucht?«, fragt Todd und blickt besorgt aus dem Fenster.
    »Nicht weiter wichtig«, antworte ich. »Ich werde es dir später erzählen.«
    »Hast du die Lebensmittel?«
    Ich halte den

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