Das dunkle Paradies
Beutel hoch.
»Am besten, wir gehen wieder den Fluss entlang«, sagt er.
»Einverstanden.«
»Und schon sind wir wieder unterwegs«, sagt er mit einem schiefen Lächeln.
Ich spüre, wie dieses komische Kribbeln in mir hochsteigt, und ich weiß, es ist Glück, und auch er spürt es. Wir drücken uns einen Moment lang fest die Hand, dann stellt er sich aufs Bett, setzt einen Fuß aufs Fensterbrett und springt nach draußen.
Ich reiche ihm den Beutel, klettere hinaus und springe. Meine Schuhe machen ein dumpfes Geräusch auf dem Lehmboden. »Todd«, flüstere ich.
»Ja?«
»Jemand hat mir gesagt, dass irgendwo vor der Stadt ein Sendeturm steht«, sage ich. »Wahrscheinlich wird er von Soldaten bewacht, aber ich dachte, wenn wir ihn finden …«
»Ein großer Turm aus Metall?«, unterbricht er mich. »Höher als die Bäume?«
»Kann gut sein«, sage ich überrascht. »Du weißt, wo er ist?«
Er nickt. »Ich komme jeden Tag daran vorbei.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, sagt er, und ich sehe den Turm in seinem Lärm, ich sehe die Straße …
»Ich denke, das reicht«, sagt eine Stimme in der Dunkelheit.
Es ist eine Stimme, die wir beide kennen.
Der Bürgermeister tritt aus dem Dunkel, hinter ihm ein paar Soldaten.
»Ich wünsche euch beiden einen guten Abend«, sagt er.
Sein Lärm blitzt auf.
Und Todd bricht zusammen.
17
Schwerstarbeit
[TODD]
Es ist ein Geräusch, aber auch wieder nicht, und es ist lauter als alles, was man sich vorstellen kann, und wenn man es mit den Ohren wahrnehmen würde statt mitten im Kopf, dann würden einem davon die Trommelfelle platzen, und alles um einen herum wird weiß, und es ist nicht nur so, als wäre man blind, sondern auch taub und blöde und wie versteinert obendrein, und der Schmerz, den man dabei spürt, kommt ganz tief aus dem Inneren, man kann sich beim besten Willen nicht dagegen wehren, es ist ein Stechen, ein Brennen, ein Schlag, mitten ins Mark.
Genau diesen Schlag verspürt Davy, wenn ihm sein Vater den Lärm entgegenschleudert.
Und es sind Worte …
Es sind nichts als Worte …
Aber jedes Wort rammt sich in dein Hirn, und alle schreien dich an, schreien: DU BIST EIN NICHTS DU BIST EIN NICHTS DU BIST EIN NICHTS , und sie reißen deine eigenen Worte aus deinem Kopf, wie wenn dir jemand deine Haare mitsamt der Haut vom Schädel ziehen würde.
Ein Blitzstrahl aus Wörtern und ich bin ein Nichts.
Ich bin ein Nichts.
DU BIST EIN NICHTS .
Ich stürze und der Bürgermeister kann mit mir machen, was er will.
Über das, was folgt, will ich nicht sprechen.
Der Bürgermeister lässt ein paar Soldaten zurück, die das Haus der Heilung bewachen sollen, die anderen aber schleppen mich in die Kathedrale. Auf dem Weg dorthin sagt er nichts, kein einziges Wort, während ich ihn anbettle, ihr nicht wehzutun, ihm alles Mögliche verspreche und schreie und weine (halt die Klappe) und ihm sage, dass ich alles tun werde, was er von mir verlangt, solange er ihr nichts tut.
(Halt die Klappe, halt die Klappe.)
Als wir in der Kathedrale angekommen sind, bindet er mich wieder auf dem Stuhl fest.
Und schickt Mr Collins in die Stadt.
Und dann …
Ich will nicht darüber sprechen.
Denn ich weine und kotze und bettle und schreie nach ihr und bettle noch mehr, und dafür schäme ich mich so sehr, dass ich keine Worte finde.
Und während dieser Zeit schweigt der Bürgermeister. Er geht nur um mich herum, hört zu, wie ich schreie, hört zu, wie ich bettle.
Und hört durch das Schreien hindurch meinen Lärm.
Ich rede mir ein, dass ich nur schreie und bettle, um das, was sie mir gesagt hat, in meinem Lärm zu verbergen, dass ich es tue, damit sie sicher ist, damit er nichts erfährt. Ich rede mir ein, ich müsste weinen und betteln, so laut ich kann, damit er es nicht hört.
(Halt die Klappe.)
Das rede ich mir ein.
Und mehr möchte ich darüber nicht sagen.
(Verdammt noch mal, halt die Klappe!)
Es ist beinahe früher Morgen, als ich wieder in den Turm zurückkehre. Bürgermeister Ledger ist eigens wegen mir aufgeblieben, und obwohl ich nicht in der Verfassung bin, überhaupt etwas zu tun, frage ich mich doch, ob er vielleicht irgendetwas mit dieser ganzen Sache zu tun haben könnte. Aber seine Anteilnahme, sein Entsetzen über meinen Zustand, klingen aufrichtig in seinem Lärm, so aufrichtig, dass ich mich vorsichtig auf meine Matratze lege und nicht weiß, was ich denken soll.
»Sie sind gar nicht erst hereingekommen«, sagt er und stellt sich hinter mich.
Weitere Kostenlose Bücher