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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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beachtet ihn.
    »Und du, Todd?«, wendet sich der Bürgermeister an mich. »Wie war der Morgen?«
    »Bitte tut ihr nichts!«, sage ich.
    »›Bitte tut ihr nichts!‹«, äfft mich Davy nach.
    »Zum letzten Mal, Todd«, antwortet der Bürgermeister. »Ich werde ihr nichts tun. Ich werde mich nur mit ihr unterhalten. Gerade eben bin ich auf dem Weg zu ihr, nur um mit ihr zu reden.«
    Mein Herz macht einen Satz und mein Lärm schwillt an.
    »Oh, das gefällt ihm nicht, Pa«, sagt Davy.
    »Sei still«, weist ihn der Bürgermeister zurecht. »Todd, gibt es irgendetwas, was du mir sagen möchtest, damit meine Unterredung mit ihr kürzer und für alle erfreulicher ausfällt?«
    Ich muss schlucken.
    Der Bürgermeister sieht mich nur an, schaut in meinen Lärm, und Worte ganz tief aus meinem Innern, »Bitte tut ihr nichts« , gesprochen in meiner eigenen Stimme und in seiner, vermischen sich, setzen sich fest in dem, was ich jetzt denken möchte, in dem, was ich weiß, aber es ist etwas anderes als der Schlag, den er anderen mit seinem Lärm versetzen kann, seine Stimme stöbert an Orten in meinem Hirn herum, wo ich sie nicht will, sie versucht verschlossene Türen zu öffnen, jeden Stein umzudrehen, in jeden abgelegenen Winkel zu leuchten, wo sonst kein Licht hinfällt, und immerzu sagt sie: »Bitte tut ihr nichts«, und ich spüre, wie ich reden will ( Ozean ), wie ich beginnen will, ihm diese verschlossenen Türen zu öffnen ( Ozean ), wie ich beginnen will genau das zu tun, was er von mir will, denn er hat ja Recht, hat Recht mit allem, was er sagt, und wer bin ich denn, dass ich mich ihm so einfach widersetzen könnte.
    »Sie weiß gar nichts«, sage ich mit zittriger, fast keuchender Stimme.
    Er zieht eine Augenbraue hoch. »Du machst einen aufgeregten Eindruck, Todd.« Er reitet mit Morpeth ein Stückchen näher heran. Unterwirf dich , sagt Morpeth. Davy bemerkt sehr wohl, dass mir die ganze Aufmerksamkeit des Bürgermeisters gilt, und sogar von hier aus höre ich, wie er eifersüchtig wird. »Wann immer ich meine Leidenschaften zügeln muss, Todd, mache ich Folgendes.«
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH .
    Der Satz nistet sich in meinen Kopf ein wie eine Made in einen Apfel.
    »Das erinnert mich daran, wer ich bin«, erklärt der Bürgermeister. »Es erinnert mich daran, wie ich mich selbst beherrschen kann.«
    »Was ist los?«, fragt Davy, und mir wird klar, dass er es nicht hören kann.
    ICH BIN DER KREIS UND DER KREIS IST DAS ICH .
    Da ist es wieder, mitten in mir drin.
    »Was bedeutet das?« Ich schnappe nach Luft, der Satz ist so tief in mein Hirn gemeißelt, dass ich fast nicht sprechen kann.
    Und dann hören wir es.
    Ein Heulen in der Luft, ein Sirren, das nicht vom Lärm kommt, das sich eher nach einer fetten dunkelroten Biene anhört, die gerade angreifen will.
    »Was zum …?«, fragt Davy.
    Und dann drehen wir uns alle um zum gegenüberliegenden Ende des Klostergeländes, blicken über die Köpfe der Soldaten hinweg, die auf der Mauer stehen.
    Ttsssss …
    Es ist etwas am Himmel, irgendetwas, was in hohem Bogen auf uns zufliegt, in einem hohen, spitzen Bogen, es taucht zwischen ein paar Bäumen hinter dem Kloster auf, zieht eine Rauchfahne hinter sich her, und das Summen wird lauter, und der Rauch wird zu einer dichten schwarzen Qualmwolke.
    Daraufhin zieht der Bürgermeister Violas Fernglas aus seiner Brusttasche.
    Ich starre auf das Fernglas, mein Lärm brodelt, schwappt über von Fragezeichen, um die er sich nicht kümmert.
    Davy muss damals auch das Fernglas auf dem Hügel eingesteckt haben.
    Ich balle die Fäuste.
    »Was immer es ist«, sagt Davy, »es kommt direkt auf uns zu.«
    Das Ding hat den höchsten Punkt seiner Flugbahn erreicht und stürzt nun zur Erde.
    Direkt auf die Stelle zu, an der wir gerade stehen.
    Ttsssss …
    »Wenn ich ihr wäre, würde ich schleunigst abhauen«, sagt der Bürgermeister. »Das ist eine Bombe.«
    Davy rennt so schnell zum Tor zurück, dass er dabei seine Peitsche fallen lässt. Die Soldaten auf der Mauer springen hinunter und laufen weg. Der Bürgermeister zieht die Zügel straffer, aber er bleibt stehen, er wartet ab, will sehen, wo die Bombe einschlägt.
    »Ein Leuchtspurgeschoss«, sagt er interessiert. »Veraltet, praktisch wirkungslos. Wir haben solche Bomben seinerzeit im Krieg gegen die Spackle eingesetzt.«
    Das Summen wird lauter. Die Bombe wird schneller und schneller.
    »Bürgermeister Prentiss?«
    »Präsident«, verbessert er mich, aber er

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