Das dunkle Paradies
uns beiden Halt, indem sie sich mit einer Hand und mit einem Fuß an der gegenüberliegenden Wand abstützt. Ich wehre mich gegen diese aufgezwungene Fürsorge, aber sie hat Recht, denn von nun an stoßen wir uns nicht mehr gegenseitig, obwohl der Wagen weiterhin schlingert.
So verbringe ich den Rest der Reise in den Armen von Mistress Coyle. In ihren Armen gelange ich in das Lager der Antwort .
Endlich hält der Wagen an und beinahe im selben Augenblick wird das Brett entfernt.
»Wir sind da«, sagt der Soldat mit den blonden Haaren. »Alles in Ordnung mit euch?«
»Was sollte uns schon fehlen?«, fragt Mistress Coyle gequält zurück. Sie lässt mich los und zwängt sich aus dem Verschlag, dann streckt sie mir die Hand entgegen, um mir herauszuhelfen. Ich ergreife sie nicht, sondern klettere ohne Hilfe hinaus und betrachte meine neue Umgebung.
Wir sind einen steinigen Feldweg entlanggefahren, der für Fuhrwerke kaum passierbar ist, und jetzt sind wir an einem Ort, der wie eine Felsenschlucht mitten im Wald aussieht. Auf allen Seiten wachsen die Bäume bis dicht an den Rand des Talkessels und direkt vor uns sind ebenfalls welche.
Der Ozean muss hinter diesem Kessel liegen. Entweder habe ich länger gedöst, als ich dachte, oder sie hat gelogen und er ist viel näher, als sie mir erzählt hat.
Was mich nicht wundern würde.
Der blonde Soldat pfeift durch die Zähne, als er unsere Gesichter sieht, ich spüre, dass unter meiner Nase geronnenes Blut klebt. »Ich kann dir etwas dagegen geben«, sagt er.
»Sie ist eine Heilerin«, entgegnet ihm Mistress Coyle. »Sie kann sich selbst behandeln.«
»Ich bin Lee«, stellt er sich vor und grinst mich an.
Einen Augenblick lang ist mir unangenehm bewusst, wie schrecklich ich aussehen muss mit meiner blutigen Nase und in diesem lächerlichen Aufzug.
»Ich bin Viola«, sage ich mit gesenktem Blick.
»Da is dein Zeug.« Wie aus dem Boden geschossen steht plötzlich Wilf neben mir und gibt mir den Sack mit den Medikamenten und dem Verbandszeug. Ich schaue ihn an, dann werfe ich mich an seinen Hals, umarme ihn, drücke den Riesenkerl fest an mich.
»Is schön, dich zu sehen, Hildy«, sagt er.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sage ich mit belegter Stimme. Ich lasse ihn los und nehme den Sack.
»Hat Corinne das eingepackt?«, fragt Mistress Coyle.
Ich hole Verbandssachen heraus und fange an, mir das Blut von der Nase zu wischen. »Was kümmert es Euch?«
»Man kann mir vieles vorwerfen«, sagt sie, »aber nicht, dass ich mich nicht kümmere, mein Mädchen.«
»Ich hab es Euch schon einmal gesagt«, fauche ich verärgert. »Sagt niemals wieder ›mein Mädchen‹ zu mir.«
Mistress Coyle fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Sie wirft Lee und Magnus einen schnellen Blick zu, worauf die beiden sofort in den Wald verschwinden.
»Du auch, Wilf«, fordert sie ihn auf.
Wilf schaut mich an. »Kommste allein zurecht?«
»Ich glaube schon« antworte ich heiser, »aber geh nicht so weit weg.«
Er nickt, legt den Finger wieder an die Hutkrempe und folgt den beiden Soldaten.
»So«, sagt Mistress Coyle und verschränkt die Arme. »Dann lass mal hören.«
Ich schaue sie an, sehe ihren missbilligenden Blick, und ich merke, wie mein Atem schneller geht, wie die Wut hochsteigt, so schnell und so stark, dass ich fast zerspringe. »Wie könnt Ihr es wagen …«
Sie unterbricht mich sofort. »Wer auch immer als Erster mit euren Schiffen Verbindung aufnimmt, ist im Vorteil. Wenn er es ist, dann wird er ihnen von der üblen, kleinen Terroristenbande erzählen, die er am Hals hat, und deine Leute bitten, sie mit ihren Ortungsgeräten aufzuspüren und auszuradieren.«
»Ja, aber wenn wir …«
»Wenn wir die Ersten gewesen wären, ja, dann hätten wir ihnen natürlich alles über den Tyrannen berichten können. Aber wir hätten das nie geschafft.«
»Wir hätten es zumindest versuchen können.«
»War dir eigentlich klar, was du da tust, als du auf den Sendeturm zugerannt bist?«
Ich balle die Fäuste. »Nein, aber wenigstens hätte ich …«
»Was hättest du?« Sie blickt mich herausfordernd an. »Eine Botschaft an genau die Koordinaten gesendet, die der Präsident herausfinden will? Er wartet doch nur darauf, dass du genau das versuchst! Warum, glaubst du, hat er dich noch nicht eingesperrt?«
Ich bohre mir die Fingernägel in die Handflächen, ich zwinge mich, ihre Worte zu überhören.
»Uns läuft die Zeit davon«, fährt sie fort. »Und wenn wir die
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