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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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meinem Rücken. »Den nehm ich.«
    Ich lasse den Sack von der Schulter gleiten und reiche ihn Wilf. »Danke.«
    »Los jetzt, Viola!«, drängt Mistress Coyle.
    Ich nicke Wilf kurz zu, bücke mich und krieche ganz in den Verschlag hinein, bis ich mit dem Kopf fast an der gegenüberliegenden Seite anstoße. Ohne zu zögern, folgt mir Mistress Coyle. Der junge Soldat hat Recht. Es ist zu eng. Sie drängt sich an mich, wir liegen Gesicht an Gesicht, ihre Knie quetschen meine Schenkel, zwischen unseren Nasen ist kein Zentimeter Platz. Kaum dass sie ihre Füße in den Verschlag gezogen hat, wird das Brett wieder über die Öffnung geschoben und tiefe Dunkelheit umgibt uns.
    »Wohin …«, will ich fragen, doch sie bringt mich mit einem energischen »Psst!« zum Schweigen.
    Von draußen höre ich am Trappeln der Hufe, wie sich auf der Straße rasch Soldaten nähern.
    »Meldung!«, ruft einer von ihnen, als sie neben dem Fuhrwerk anhalten.
    Diese Stimme …
    Sie ist laut und übertönt das Wiehern des Pferdes.
    Diese Stimme …
    »Wir haben die Explosion gehört, Sir«, antwortet der ältere unserer beiden Soldaten. »Dieser Mann hier sagt, er habe Frauen gesehen, die vor einer Stunde an ihm vorbei zur Flussstraße gerannt sind.«
    Wir hören, wie der Soldat verächtlich hervorstößt: »Schlampen!«
    Ich kenne die Stimme.
    Es ist Sergeant Hammar.
    »Zu welcher Einheit gehört ihr?«, fragt er.
    »Zur ersten, Sir«, antwortet der Jüngere nach einer kaum merklichen Pause. »Zu Käpten O’Hare.«
    »Was, zu diesem Schlappschwanz?«, faucht Sergeant Hammar. »Wenn ihr anständige Soldaten werden wollt, kommt zur vierten. Dann zeige ich euch, wo’s langgeht.«
    »Jawohl, Sir«, antwortet unser Soldat, aber er klingt nervöser, als mir lieb ist.
    Ich kann den Lärm der Soldaten in Sergeant Hammars Einheit hören. Er kreist um unser Fuhrwerk. Er kreist um die Explosionen. Er kreist um Frauen, die er und seine Männer erschießen wollen.
    Aber von Sergeant Hammar ist kein Laut zu hören.
    »Nehmt diesen Mann fest«, sagt Sergeant Hammar schließlich und meint damit Wilf.
    »Wir sind gerade dabei, Sir.«
    »Schlampen!«, sagt Sergeant Hammar noch einmal, und wir hören, wie er seinem Pferd die Sporen gibt ( Abwerfen , denkt es), und dann entfernt er sich schnell mit seinen Leuten.
    Ich atme tief aus, mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten habe. »Er wurde also doch nicht bestraft«, flüstere ich mehr zu mir selbst.
    »Still!«, zischt Mistress Coyle.
    Ich höre, wie Wilf mit der Peitsche knallt, und wir werden durchgeschüttelt, als der Wagen langsam weiterrattert.
    Also hat der Bürgermeister gelogen. Die ganze Zeit über.
    Natürlich hat er gelogen, du Närrin.
    Maddys Mörder ist noch immer auf freiem Fuß, kann weiter morden, bekommt weiterhin seine Arznei.
    Und ich werde von der Bewegung des Wagens ständig gegen die Frau gedrückt, die meine einzige Hoffnung zerstört hat, indem sie mich daran hinderte, Kontakt mit den Schiffen meiner Leute aufzunehmen, die uns vielleicht hätten retten können.
    Und irgendwo hier draußen ist Todd. Und ich lasse ihn im Stich. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so einsam gefühlt wie jetzt.
    Der Verschlag ist höllisch eng. Eine nimmt der anderen die Luft weg, wir holen uns blaue Flecken an Ellbogen und Schultern, weil wir immer wieder gegeneinandergeschleudert werden, während der Wagen weiterrollt, es ist so heiß hier drinnen, dass unsere Kleider schon schweißnass sind.
    Wir sprechen kein Wort.
    Die Zeit vergeht. Und vergeht. Und noch mehr Zeit vergeht. Ich falle in eine Art Wachschlaf, die Wärme und die Enge machen mich matt. Das Schaukeln des Fuhrwerks lullt allmählich auch meine Sorgen ein und ich verschließe meine Augen vor ihnen.
    Als der ältere der beiden Soldaten an die Holzplanke klopft, wache ich auf und hoffe schon, wir können endlich unser Versteck verlassen, doch er sagt bloß: »Jetzt wird’s holprig. Haltet euch fest.«
    »Woran?«, frage ich, aber dann bin ich still, denn ich habe das Gefühl, der Wagen stürzt gleich von einer Klippe herab.
    Mistress Coyles Stirn schlägt gegen meine Nase, und fast sofort schmecke ich Blut. Ich höre sie keuchen und würgen, als ich ihr mit meiner freien Hand unabsichtlich den Hals zudrücke, und der Wagen rumpelt und holpert weiter, ich warte nur auf den Augenblick, in dem er umkippt und sich überschlägt.
    Plötzlich schlingt Mistress Coyle beide Arme um mich, zieht mich dicht an sich und gibt

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