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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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bitten, aus dem Weg zu gehen, nicht einmal Mistress Forth und Mistress Nadari, die geduldig hinter ihr warten. Auch sie haben wie Thea seit meiner Ankunft kaum ein Wort mit mir gewechselt, alle diese unterwürfigen Dienerinnen, die nicht mal im Traum daran denken, mit Mistress Coyle so zu reden, wie ich es gerade getan habe.
    Sie behandeln mich, als wäre ich gefährlich.
    Und zu meiner eigenen Überraschung gefällt mir das.
    Ich schaue Mistress Coyle in die Augen, halte ihrem unnachgiebigen Blick stand. »Ich werde Euch nie verzeihen«, sage ich zu ihr. »Nie und nimmer.«
    »Ich brauche deine Vergebung nicht«, sagt sie ebenso ruhig wie ich. »Aber eines Tages wirst du mich verstehen.« Und dann leuchten ihre Augen auf und ihr Mund verzieht sich zu einem Lächeln. »Weißt du«, sie spricht jetzt etwas lauter, »ich glaube, es ist Zeit, dass du etwas zu tun bekommst.«

22
    1017
    [TODD]
    »Könnt ihr Scheißviecher euch nicht zur Abwechslung etwas schneller bewegen?«
    Die vier, fünf Spackle, die mir am nächsten sind, weichen vor mir zurück, obwohl ich nicht einmal besonders laut gesprochen habe.
    »Bewegt euch!«
    Aber es ist wie immer: kein Gedanke, kein Lärm, rein gar nichts.
    Die Arznei muss in ihrem Futter sein, das ich ihnen noch immer aus dem Schuppen schaufle. Aber warum? Warum ausgerechnet sie, wo doch sonst niemand das Medikament bekommt? Die Arznei macht aus ihnen ein Meer aus stummen Zungenschnalzern, ein Meer aus weißen Rücken, die sich in der Kälte krümmen. Es sind weiße Münder, aus denen kleine Dampfwölkchen aufsteigen, weiße Hände, die die Erde wegschaufeln. Und wenn man seinen Blick über das Klostergelände schweifen lässt, könnte man fast meinen, dass all diese weißen Gestalten, die da arbeiten, genauso gut eine Herde von Schafen sein könnten.
    Wenn man aber genauer hinschaut, kann man Familien unterscheiden, Männer und Frauen, Väter und Söhne. Man erkennt Ältere, die nur kleine Mengen Erde heben und langsamer arbeiten. Man erkennt Jüngere, die den Älteren helfen und darauf achten, dass wir nicht bemerken, dass die Älteren nicht mehr so schwer arbeiten können. Man erkennt ein kleines Kind, das mit einem alten Stück Tuch vor die Brust der Mutter gebunden ist. Man erkennt einen auffallend großen, der andere Spackle, die in einer langen Kette arbeiten, anleitet. Man erkennt einen kleinen weiblichen Spackle, die einem größeren Weibchen Schlamm auf die vom Nummernband entzündete Stelle schmiert. Man erkennt, wie sie zusammenarbeiten, mit gesenkten Köpfen, weil sie nicht von mir, von Davy oder von den Wachen hinter dem Stacheldrahtzaun bemerkt werden wollen.
    All das erkennt man, wenn man nur gut genug hinschaut.
    Aber es ist einfacher, wenn man es nicht tut.
    Wir können ihnen natürlich keine Schaufeln geben, denn sie könnten sie als Waffen gegen uns gebrauchen. Die Wachposten auf den Mauern werden schon nervös, wenn auch nur einer der Spackle seinen Arm etwas zu hoch hebt. Also stehen sie alle da, zur Erde gebeugt, graben mit den Händen, klauben Steine, lautlos wie die Wolken am Himmel, sie leiden und unternehmen nichts dagegen.
    Aber ich habe eine Waffe. Man hat mir ein Gewehr gegeben, das ich auf dem Rücken trage.
    Denn wohin sollte ich auch abhauen?
    Jetzt, wo sie nicht mehr da ist.
    »Mach schon, los!«, schreie ich einen Spackle an und mein Lärm wird feuerrot bei dem Gedanken an sie.
    Ich bemerke, wie Davy zu mir herüberschaut, ein überraschtes Grinsen auf seinem Gesicht. Ich drehe mich um und stapfe über das Gelände zu einer anderen Gruppe. Ich bin fast dort, als ich ein lautes Zungenschnalzen höre.
    Ich schaue mich um, bis ich weiß, wo das Geräusch herkommt.
    Es ist immer derselbe.
    Es ist 1017, der mich wieder anstarrt, mit einem Blick, der sagt, dass er mir nicht vergeben hat. Er schaut auf meine Hände.
    Erst jetzt bemerke ich, dass ich mein Gewehr fest umklammert halte. Ich weiß nicht einmal, wann ich es von der Schulter genommen habe.
    Auch wenn sich die Spackle noch so sehr anstrengen, es wird ein paar Monate dauern, bis das Gebäude auch nur halbwegs fertig ist, und das ist mitten im Winter. Und die Spackle werden keine Unterkunft haben, denn für sich haben sie kein Haus gebaut. Zwar können sie länger im Freien leben als die Menschen, aber ich glaube, nicht einmal sie können den eisigen Winter draußen überstehen, und soviel ich weiß, gibt es keinen anderen Ort, an den sie gehen könnten.
    Aber dennoch, wir haben alle Mauern auf dem

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