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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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umzukehren und Todd zu suchen, aber Sergeant Hammar kennt ja jetzt Wilfs Gesicht. Er weiß, dass Wilf schon längst im Gefängnis sitzen sollte, und so ist jede Fahrt zurück in die Stadt für Wilf ein Spiel mit dem Tod.
    Ich schiebe den letzten Löffel meines Haferbreis in den Mund und stoße einen tiefen Seufzer aus. Der Seufzer könnte der Kälte, dem faden Haferbrei, der Untätigkeit, zu der ich hier im Lager verdammt bin, gelten. Aber Wilf errät den Grund. Irgendwie weiß Wilf immer Bescheid.
    »Ich bin sicher, ihm geht’s gut, Hildy«, beruhigt er mich und isst den letzten Löffel Brei. »Er kommt durch, unser Todd. Ganz bestimmt.«
    Ich schaue in die kalte Morgensonne, und ich muss wieder schlucken, aber das liegt am Brei.
    »Halt dich wacker«, sagt Wilf und steht auf. »Für das, was noch kommt.«
    »Was kommt denn?«, frage ich ihn, als er schon auf dem Weg zu den Schuppen ist und seinen Kaffee trinkt.
    Aber er geht einfach weiter.
    Ich trinke meinen Kaffee aus, rubble mir die Arme, um mich etwas aufzuwärmen, und nehme mir vor, sie heute wieder zu fragen, nein, ich werde ihr einfach sagen, dass ich am nächsten Auftrag teilnehmen werde, dass ich ihn suchen muss …
    »Du sitzt ganz allein hier draußen?«
    Ich blicke auf. Vor mir steht Lee, der junge blonde Soldat, und lächelt übers ganze Gesicht, seine weißen Zähne blitzen auf.
    Ich merke, wie ich rot werde.
    »Nein, nein«, sage ich und stehe rasch mit dem Teller in der Hand auf.
    »Du brauchst doch nicht gleich wegzugehen«, sagt er.
    »Nein, ich bin fertig …«
    »Viola …«
    »Jetzt hast du genug Platz.«
    »Das hab ich nicht gemeint.«
    Aber ich stapfe schon zum Küchenschuppen zurück und verwünsche mich selbst, weil ich so rot geworden bin.
    Lee ist nicht der einzige Mann im Lager. Gut, er ist eigentlich noch gar kein Mann, aber genau wie Wilf können er und Magnus nicht mehr so tun, als wären sie Soldaten, und in die Stadt zurückkehren, jetzt, da man ihre Gesichter kennt.
    Aber es gibt andere, die das noch können.
    Denn das ist das größte Geheimnis der Antwort . Mindestens ein Drittel der Leute sind Männer, Männer, die so tun, als wären sie Soldaten. Männer, die Frauen in die Stadt und wieder herausbringen. Männer, die Mistress Coyle dabei helfen, die Ziele der Bomben auszuwählen und dann die Anschläge verüben. Männer, die sich mit Sprengstoff auskennen, Männer, die an die Sache der Antwort glauben und die gegen den Bürgermeister und alles, was er verkörpert, kämpfen wollen.
    Es sind Männer, die ihre Frauen, Töchter und Mütter verloren haben und die dafür kämpfen, diese Frauen zu retten oder sie zu rächen.
    Meist kämpfen sie aus Rache.
    Wahrscheinlich ist es von Vorteil, wenn alle denken, dass die Antwort nur aus Frauen besteht. Auf diese Weise können Männer kommen und gehen, wann sie wollen, und das selbst dann, wenn der Bürgermeister, wie anzunehmen ist, Wind davon bekommen hat und er deshalb so vielen seiner Soldaten die Medizin vorenthält. Aus diesem Grund wird auch der Arzneivorrat, den die Frauen für die Männer haben, allmählich mehr zu einer Gefahr als zu einem Segen.
    Ich werfe einen kurzen Blick auf Lee zurück.
    Bei ihm bin ich mir nicht sicher, weshalb er hier ist.
    Ich konnte noch nicht …
    Ich hatte noch nicht einmal die Gelegenheit, ihn danach zu fragen.
    In Gedanken versunken laufe ich zum Küchenschuppen. Die Tür geht auf, ehe ich zur Klinke greifen kann.
    Ich blicke hoch, direkt in das Gesicht von Mistress Coyle.
    Ich grüße sie nicht einmal, sondern platze gleich damit heraus. »Lasst mich bei Eurer nächsten Aktion mitmachen.«
    Sie verzieht keine Miene. »Du weißt, warum das nicht geht.«
    »Todd würde mit uns kommen«, sage ich. »Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.«
    »Es gibt einige unter uns, die sich dessen nicht so sicher sind, mein Mädchen.«
    Ich will ihr widersprechen, aber sie schneidet mir das Wort ab. »Wenn er überhaupt noch am Leben ist. Aber das ist nicht entscheidend, denn wir können es uns nicht leisten, dass du in Gefangenschaft gerätst. Du bist die kostbarste Beute, die wir gemacht haben. Du bist das Mädchen, das dem Präsidenten helfen kann, wenn die Schiffe landen.«
    »Ich …«
    Sie hebt abwehrend die Hand. »Ich mag nicht schon wieder mit dir darüber streiten. Es gibt Wichtigeres zu tun.«
    Im ganzen Lager hört man keinen Laut mehr. Die Leute hinter ihr sind in der Tür stehen geblieben, während wir einander anstarren, keine traut sich, sie zu

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