Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
Vom Netzwerk:
drüber, laufe der Plane nach, die über den schlammigen Acker einen kleinen Abhang hinaufflattert, und gerade, als ich sie beinahe zu fassen kriege … rutsche ich aus und schlittere bäuchlings die andere Seite des Hügels hinunter …
    Und da merke ich erst, wo ich bin.
    Ich rutsche direkt auf die Latrine zu.
    Ich kralle mich in den Schlamm, aber da ist nichts, woran ich mich festhalten könnte, und mit einem Platsch lande ich in der Grube.
    »Igitt!«, rufe ich und versuche zu stehen. Ich stecke bis über die Knie in der schleimigen Spackle-Scheiße, vorn und hinten vollgespritzt, es stinkt so sehr, dass es mir hochkommt.
    Plötzlich blitzt Lärm auf.
    Ich sehe mich darin, wie ich in der Grube stehe.
    Ich sehe darin einen Spackle, der über mir steht.
    Ich schaue nach oben.
    Eine Wand von Spackle steht da und schaut zu mir herab.
    Und in vorderster Reihe …
    1017.
    Direkt über mir.
    Mit einem riesengroßen Stein in der Hand.
    Er sagt nichts, er steht nur da mit seinem Stein, der groß und schwer genug ist, um mich damit ernsthaft zu verletzen, wenn er nur gut genug zielt.
    »Und was jetzt?«, schreie ich. »Das ist es doch, was du wolltest, oder?«
    Er starrt mich nur an.
    Sein Lärm ist verschwunden.
    Ich greife nach meinem Gewehr, langsam und vorsichtig.
    »Was soll das werden?«, frage ich, und er sieht in meinem Lärm, dass ich nur allzu bereit bin, es mit ihm aufzunehmen.
    Und wie ich bereit bin.
    Jetzt habe ich den Gewehrkolben in der Hand.
    1017 starrt mich nur an.
    Und dann lässt er den Stein fallen und geht zur Plane zurück. Ich schaue ihm nach, er geht fünf Schritte, dann zehn, und langsam lässt meine Anspannung nach.
    Ich ziehe mich aus der Grube und da höre ich es.
    Das Zungenschnalzen.
    Sein fieses Zungenschnalzen.
    Und dann drehe ich durch.
    Ich renne hinterher und ich schreie irgendetwas, ich weiß nicht was, und Davy fährt erschrocken herum, als ich gleich hinter 1017 die Zeltplane erreiche, und ich renne hinein und halte wie ein Irrer das Gewehr über den Kopf, und 1017 dreht sich nach mir um, aber ich gebe ihm keine Gelegenheit zu reagieren, ich schlage ihn mit dem Gewehrkolben hart ins Gesicht, und er stürzt nach hinten, auf den Boden, und ich hole wieder mit dem Gewehr aus, schlage zu, er hält schützend die Hände vor sich, und ich schlage wieder zu und wieder und wieder …
    … auf die Hände …
    … und ins Gesicht …
    … auf die dürren Rippen …
    … und mein Lärm kocht über …
    … und ich schlage zu …
    … und ich schlage zu …
    … und ich schlage zu …
    … und ich schreie …
    Ich schreie laut heraus …
    »Warum bist du weggegangen?«
    »Warum bist du weggegangen?«
    Und ich höre das spröde Knacken, als sein Arm bricht.
    Das Geräusch ist unüberhörbar, lauter als der Regen oder der Wind, es schnürt mir die Kehle zu, dreht mir den Magen um.
    Davy starrt mich mit offenem Mund an.
    Alle Spackle weichen erschrocken zurück.
    Auf dem Boden liegt 1017 und glotzt mich an, rotes Blut rinnt aus seiner übel zugerichteten Nase und aus den Winkeln seiner viel zu hoch liegenden Augen, aber er gibt keinen Laut von sich, keinen Lärm, keinen Gedanken, kein Schnalzen, gar nichts …
    (Wir sind in dem Lager, und auf dem Boden liegt ein toter Spackle, und sie schaut mich so verängstigt an, sie weicht vor mir zurück, und überall ist Blut, und ich habe es wieder getan, ich habe es wieder getan, warum bist du weggegangen, verdammt noch mal, Viola, warum bist du gegangen …)
    1017 sieht mich nur an.
    Und ich schwöre bei Gott, es liegt Triumph in seinem Blick.

23
    Es liegt was in der Luft
    (VIOLA)
    »Die Wasserpumpe geht wieder, Hildy.«
    »Danke, Wilf.« Ich gebe ihm ein Tablett, auf dem Brot liegt, es dampft noch. »Kannst du das Jane bringen, bitte? Sie deckt gerade den Frühstückstisch.«
    Er nimmt das Tablett, und ein matter, kurzer Ton kommt aus seinem Lärm. Als er aus der Küchenbaracke tritt, höre ich, wie er ruft: »Frau!«
    »Weshalb nennt er dich Hildy?«, fragt Lee, der zur Hintertür hereinkommt, in der Hand einen Korb voll Mehl, das er gerade gemahlen hat. Er hat ein ärmelloses Hemd an und seine Arme sind bis zu den Ellbogen mit weißem Mehlstaub überzogen.
    Einen Moment lang schaue ich auf seine nackten Arme, dann schaue ich weg.
    Mistress Coyle will, das wir zusammenarbeiten, weil er ja jetzt nicht mehr nach New Prentisstown zurückkehren kann.
    Nein, ich werde ihr ganz bestimmt nicht verzeihen.
    »Hildy war jemand, der uns einmal geholfen hat«,

Weitere Kostenlose Bücher