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Das dunkle Paradies

Das dunkle Paradies

Titel: Das dunkle Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Ness
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noch die Schuld an Maddys Tod, sie halten mich immer noch für eine Verräterin, und sie geben mir die Schuld an diesem ganzen Scheißkrieg.
    Nicht dass es mir etwas ausmachen würde.
    Ist mir doch egal.
    Ich lasse sie in der Kantine beieinanderhocken und gehe mit meinem Teller voll grauem Haferbrei nach draußen in die kalte Morgensonne und setze mich auf einen Felsbrocken in der Nähe der Höhleneingänge. Während ich esse, erwacht vor mir das Lager, macht sich bereit für das, womit Terroristen ihre Tage verbringen.
    Am meisten bin ich überrascht, wie wenige Leute hier sind. Es mögen etwa hundert sein, mehr nicht. Das ist also die berüchtigte Antwort , die mit Bombenanschlägen New Prentisstown aufmischt. Hundert Leute. Heilerinnen und Gehilfinnen, ehemalige Patientinnen und noch ein paar andere, die im Schutz der Nacht verschwinden und am Morgen zurückkehren, solche, die im Lager alles in Gang halten für die, die kommen und gehen, und sich um die wenigen Pferde kümmern und um die Ochsen, die sie vor die Fuhrwerke spannen, um die Hühner, von denen wir die Eier haben, und um die tausend anderen Dinge, die getan werden müssen.
    Es sind nur hundert Leute. Viel zu wenige, um auch nur ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, wenn die Armee des Bürgermeisters anrückt.
    »Alles in Ordnung, Hildy?«
    »Hi, Wilf«, begrüße ich ihn, als er ebenfalls mit einem Teller Haferbrei in der Hand auf mich zukommt. Ich rutsche zur Seite, damit er sich neben mich setzen kann. Er sagt nichts, er isst nur seinen Brei und lässt mich in Ruhe essen.
    »Wilf?«, hören wir es auf einmal rufen. Jane, Wilfs Frau, kommt mit zwei dampfenden Tassen auf uns zu. Sie steigt vorsichtig über das Geröll, einmal stolpert sie, verschüttet etwas von dem Kaffee, und Wilf springt schon auf, aber sie fängt sich wieder. »Da seid ihr ja«, schreit sie fast und hält uns die Tassen hin.
    »Danke«, sage ich und nehme meine Tasse.
    Sie schiebt die Hände unter die Achseln, denn es ist kalt, sie lächelt und schaut sich mit großen Augen um, als wollte sie alles, was sie sieht, mit Blicken verschlingen. »Viel zu kalt, um hier draußen zu essen«, sagt sie betont munter.
    »Hm«, brummt Wilf und löffelt weiter seinen Brei.
    »Nicht so schlimm«, sage ich und esse ebenfalls weiter.
    »Habt ihr gehört, letzte Nacht haben unsere Leute ein Getreidelager ausgenommen.« Sie senkt die Stimme zu einem Flüstern, aber irgendwie klingt sie lauter als zuvor. »Wir haben bald wieder Brot!«
    »Hm«, antwortet Wilf.
    »Magst du Brot?«, fragt sie mich.
    »Ja.«
    »Wir haben wieder Brot«, sagt sie, zum Boden, zum Himmel, zu den Felsen. »Wir haben wieder Brot.«
    Dann stapft sie ohne ein weiteres Wort wieder zurück, aber Wilf scheint das nichts auszumachen, er nimmt kaum Notiz davon. Aber ich weiß ganz genau, dass sein einfältiger, monotoner Lärm, seine Verschlossenheit und angebliche Unbedarftheit gar nichts, aber auch rein gar nichts mit dem wirklichen Wilf zu tun haben.
    Wilf und Jane sind vor der heranrückenden Armee nach Haven geflohen, sie haben uns auf der Straße überholt, als Todd sich in Carbonel Downs von seinem Fieber erholte. Jane wurde unterwegs krank, und Wilf brachte sie, nachdem er sich umgehört hatte, direkt zu Mrs Forth ins Haus der Heilung . Doch als die Armee dann einrückte, war sie noch immer nicht ganz gesund. Wilf, dessen Lärm so frei von jeder Arglist ist wie bei sonst keinem Menschen auf diesem Planeten, hielten die Soldaten für schwachsinnig, und deshalb erlaubte man ihm, seine Frau zu besuchen, was keinem anderen Mann gestattet war.
    Als die Frauen flohen, hat Wilf ihnen geholfen. Und als ich ihn später gefragt habe, warum, hat er nur die Schultern gezuckt und gesagt: »Hätten mir sonst Jane weggenommen.« Die Frauen, die nicht so gut zu Fuß waren, hat er in seinem Fuhrwerk verborgen, er hat ein Versteck eingebaut, damit einige der Frauen zurück in die Stadt gelangen und Anschläge verüben konnten. Während endlos langer Wochen hat er sein Leben aufs Spiel gesetzt, um die Frauen hin- und herzufahren. Doch die Soldaten glaubten offenbar, ein so einfältiger Mensch könne nichts vor ihnen verbergen.
    Was die Frauen der Antwort sehr erstaunte.
    Aber mich keineswegs.
    Er hat einmal mich und Todd gerettet, obwohl er es gar nicht musste. Und ein anderes Mal hat er Todd das Leben gerettet und sich damit in noch größere Gefahr gebracht. In meiner ersten Nacht hier im Lager war er sogar bereit, auf der Stelle mit mir

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