Das dunkle Paradies
die nach ihrer nächtlichen Jagd wieder in die Höhlen zurückkehren. Das heißt, dass die Sonne bald aufgehen wird und es bald Zeit für mich ist aufzustehen.
Einige Frauen regen sich schon, strecken und rekeln sich auf ihren Pritschen. Andere sind noch der Welt entrückt, schnarchen, furzen und lassen sich einfach im leeren Nichts des Schlafes treiben.
Eine Sekunde lang wünsche ich mir, ich könnte das Gleiche tun.
Das Schlafquartier ist eigentlich nur ein länglicher Schuppen mit gefegtem Lehmboden, Holzwänden, einer Holztür, fast fensterlos, und in der Mitte steht ein eiserner Ofen, der den Raum eher schlecht als recht beheizt. Von einem Ende bis zum anderen reihen sich die Pritschen aneinander und auf jeder von ihnen liegt eine schlafende Frau.
Weil ich diejenige bin, die als Letzte zu ihnen gestoßen ist, steht meine Pritsche ganz außen.
Ich beobachte die Frau auf dem Bett am anderen Ende der langen Reihe. Sie setzt sich kerzengerade auf. Sie ist jemand, der jede seiner Bewegungen perfekt kontrolliert. Sie scheint nie wirklich zu schlafen, sich allenfalls eine Ruhezeit zu gönnen, bis sie wieder zur Arbeit geht.
Mistress Coyle setzt die Füße auf den Boden und blickt über die Reihen der Schlafenden direkt zu mir.
Überprüft zuerst, ob ich noch da bin.
Oder ob ich mitten in der Nacht weggerannt bin, um Todd zu suchen.
Ich glaube nicht, dass er tot ist. Ich glaube nicht, dass er dem Bürgermeister von uns erzählt hat.
Es muss eine andere Erklärung geben.
Ich blicke wieder zu Mistress Coyle, die reglos auf ihrer Pritsche sitzt.
Ich bin noch hier. Noch.
Aber hauptsächlich deshalb, weil ich nicht einmal weiß, wo wir überhaupt sind.
Wir sind nicht am Meer. Nicht einmal in der Nähe, wenn ich nicht irre, aber das hat nichts zu bedeuten, denn Geheimhaltung ist das Zauberwort hier im Camp. Niemand teilt dem anderen etwas mit, es sei denn, es ist unumgänglich. Das ist für den Fall, dass eine von uns beim Bombenlegen ertappt und gefangen genommen wird oder bei einem Überfall auf ein Lebensmittellager, jetzt, da bei der Antwort die Vorräte an Mehl und Medikamenten knapp werden.
Mistress Coyle hütet ihr Wissen, es ist ihr wichtigstes Werkzeug.
Ich weiß nur, dass das Camp in der Nähe eines alten Bergwerks liegt, das einst, wie scheinbar so vieles auf diesem Planeten, mit großer Zuversicht errichtet, aber schon nach wenigen Jahren wieder aufgegeben wurde. Rund um die Schachteingänge stehen ein paar Schuppen. Manche von ihnen sind neu, manche stammen noch aus den Tagen, als hier Bergbau betrieben wurde, sie dienen als Schlafräume, Versammlungsräume, Speiseräume und so weiter.
In den Höhlen, in denen keine Fledermäuse hausen, befinden sich die Lager für Lebensmittel und Nachschub, all diese Stollen sind schrecklich niedrig und werden von Mistress Lawson streng bewacht, die sich immer noch wegen der zurückgelassenen Kinder grämt und die jedem von diesem Kummer erzählt, auch wenn er nur eine zusätzliche Decke gegen die Kälte von ihr will.
Weiter unten in diesen Höhlen beginnen die Schächte, die ursprünglich in die Tiefe getrieben wurden, um Kohle oder Salz abzubauen, aber dann fand man nichts, nicht einmal Edelsteine oder Gold, was an einem Ort wie diesem auch niemandem genützt hätte. In diesen Schächten sind jetzt die Waffen und der Sprengstoff versteckt. Ich weiß nicht, wie sie dorthin gekommen sind, geschweige denn, woher sie stammen, aber wenn unsere Feinde das Lager aufspüren, dann wird der Sprengstoff gezündet und wir alle werden von der Landkarte ausradiert.
Aber vorerst ist es nur ein Lager, nahe an einer Quelle und mitten im dichten Wald. Der einzige Weg hierher führt zwischen den Bäumen hindurch den Pfad entlang, auf dem Mistress Coyle und ich gekommen sind, und dieser Pfad ist so steil und beschwerlich, dass man jeden Eindringling schon von Weitem kommen hört.
»Und sie werden kommen«, sagte Mistress Coyle zu mir am ersten Tag im Lager. »Wir müssen nur darauf vorbereitet sein.«
»Warum sind sie nicht schon längst da?«, fragte ich sie. »Sie müssen doch wissen, dass hier ein altes Bergwerk ist.«
Aber sie hat mir nur zugezwinkert und den Finger an die Nase gelegt.
»Was soll das heißen?«, habe ich sie gefragt.
Aber mehr erfuhr ich nicht, denn Geheimhaltung ist hier eben das Zauberwort.
Beim Frühstück lassen mich Thea und die anderen Gehilfinnen, die ich kenne, wie üblich links liegen, keine spricht ein Wort mit mir, sie geben mir immer
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