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Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)

Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)

Titel: Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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las Roth.
    Ein dritter SS-Mann trat hinter die beiden Männer und gab Aronheim einen Stoß in den Rücken. Er flog nach vorne, stolperte bei der ersten Treppenstufe und stürzte beinahe. Roth hielt die Luft an.
    Doch Walter Aronheim konnte sich mit der rechten Hand am Geländer festhalten. Er knickte ein, hielt sich aber fest. Effgen trat einen Schritt vor, nahm ihn bei der Hand und half ihm wieder auf die Beine.
    Die beiden SS-Leute schrien auf Effgen ein, aber Roth konnte sie im lauten Gejohle der Menge nicht verstehen.
    Dann wurden die beiden Männer die Treppe hinabgestoßen.
    Die Menge bildete ein Spalier.
    Weitere SS-Männer erschienen. Es waren nun acht.
    Die Leute wurden still.
    Aronheim und Effgen gingen durch das Spalier. Vier SS-Leute vor und vier hinter ihnen.
    Immer noch kein Ton zu hören.
    Der Vorderste winkte plötzlich mit dem Arm.
    Die Menge brach los. Die Leute beschimpften die beiden Männer. Erst einige, dann mehrere spuckten sie an.
    Eine Frau neben ihm fragte jemanden: »Was ist ein Rizinus-Indianer?«
    Und ein Mann mit grobem, rotem Gesicht antwortete ihr: »Die haben denen Rizinusöl zu trinken gegeben.«
    Alle, die es hörten, lachten laut und gemein. Und dann hieß es: zum Bahnhof. Sie werden zum Bahnhof gebracht.
    Eine Prozession setzte sich in Bewegung. In der Mitte der Straße.
    Im Zentrum keine Monstranz, sondern zwei Männer mit absurden Schildern um den Hals. Mit Gläubigen, die keine Andacht hielten, sondern schrien und spuckten.
    Albert Roth folgte dem Zug. Er ging nicht in der Straßenmitte, sondern auf dem Bürgersteig.
    Er wusste, dass er eingreifen sollte.
    Ich müsste den Herrn Aronheim am Arm nehmen und wegführen.
    Es muss ein Albtraum für Aronheim sein. Sein Gesicht sieht noch immer aus, als glaube er nicht, was ihm geschieht. Effgen sieht eisern nach vorne. Seine Backenzähne mahlen.
    Aber ich kann allein nicht gegen die SSler losgehen.
    Die SS-Leute führten die beiden Männer die Hauptstraße entlang, die jetzt Adolf-Hitler-Straße hieß. Sie gingen am Stadthaus vorbei in Richtung Oberstein.
    Vielleicht hilft ihnen jemand in Oberstein, dachte Roth. Wenn ihnen jemand hilft, mache ich sofort mit. Dieser Gedanke gab ihm Mut.
    Doch es half niemand.
    Als sie vor der Post ankamen, wollten zwei SS-Leute nach rechts abbiegen, am Schlosscafé vorbei, dem kürzesten Weg zum Bahnhof.
    Kurze Debatte unter den SS-Leuten. Dann wandten sie sich nach links.
    Mein Gott, sie ziehen durch Oberstein. Sie veranstalten einen Triumphzug durch unsere Stadt.
    Eine Horde Schulkinder schloss sich dem Zug an. Die Jungs quetschten sich an den Erwachsenen und an den Uniformierten vorbei, spuckten die beiden Männer an und liefen schnell weg. Das machten sie zwei Mal, drei Mal, dann merkten sie, dass sie dafür gelobt wurden. Nun produzierten sie sich erst recht. Auch einige Frauen traten vor und spuckten. Vor allem Aronheim spuckten sie an. Sie taten es mit einem fast feierlichen Ernst. Dem Juden rann der Speichel von der Backe auf das Jackett.
    Effgen machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle er einen der Jungs schnappen. Zwei SS-Männer schlugen ihn in den Magen. Sein Oberkörper schnellte vor Schmerz nach vorne, er ging in die Knie, rappelte sich aber sofort wieder auf. Straffte sich. Aronheim streckte den Arm aus und half ihm. Zum ersten Mal sah Roth Effgen kurz lächeln.
    Bis zum Marktplatz wurden die beiden geführt.
    Dann begann das Rizinus zu wirken.
    Roth sieht, wie Aronheim sich mit der Rechten an den Bauch greift. Wie sein Gesicht sich zusammenzieht. Wie er die Zähne aufeinander beißt und sich nichts anmerken lassen will. Plötzlich erfasst Roth eine tiefe Mutlosigkeit. Wo ist die Polizei? Warum unternimmt niemand etwas? Warum wage ich nichts? Er geht zur Nahebrücke und sieht ins Wasser.
    Die Horde zieht an ihm vorbei und biegt in die Wasenstraße ein. Als Roth sich umdreht, sieht er, dass auch Effgens Gesicht schmerzverzehrt ist.
    Das Rizinus.
    Die Menge hat mitbekommen, dass die Männer Krämpfe haben.
    Es stachelt sie an.
    Sie johlen lauter.
    Einige Frauen kreischen laut.
    Der Jud, der Jud – so säuselt es in der Luft.
    Effgen kann es als Erster nicht halten. Die Scheiße färbt seine Hose dunkel. Dann das rechte Hosenbein. Dann läuft sie über die Schuhe auf die Straße.
    Johlen. Begeisterung.
    Hämisches Gelächter.
    Alles drängt sich. Jeder will es sehen.
    Effgens Augen flackern. Er geht aufrecht. Als ob nichts geschehen wäre.
    Mit dem Jud konnte das nicht gut gehen, sagt

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