Das dunkle Schweigen: Denglers zweiter Fall (German Edition)
langsamer schaufelte, und plötzlich wurde ihm klar, dass er es nicht schaffen würde, den ganzen Parkplatz umzugraben. Er blieb stehen und stützte sich auf die Schaufel. Olga kam zu ihm und reichte ihm die Wasserflasche. Er trank in großen Zügen. Dann arbeitete er weiter.
Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig hatte sich mittlerweile eine seltsame Gemeinschaft von sieben alten Männern und zwei ebenso alten Frauen eingefunden.
Seine Hand schmerzte.
I don't want you to be no slave
I don't want you to work all day
but I want you to be true
and I just wanna make love to you
»Was hast du gesagt?«, rief ihm Olga zu.
Dengler sah auf und winkte ihr kurz mit einer abwehrenden Geste zu. Dann fiel sein Blick auf das Publikum auf der anderen Straßenseite. Ein unbändiger Zorn ergriff ihn.
Jetzt reicht's.
Er kletterte aus dem Graben und marschierte mit seinen lehmverklumpten Stiefeln zu den Alten hinüber.
»Erzählen Sie mir, was ich hier finden werde«, schrie er sie an, »reden Sie mit mir.«
Die Gruppe schwieg. Die alten Männer sahen stur geradeaus, eine der beiden Frauen hatte den Blick nach links abgewandt, die andere starrte angestrengt auf den Boden.
Ich bleibe jetzt hier stehen, bis einer etwas sagt.
»Wir wissen nichts«, presste einer von ihnen durch die Lippen, ohne den Blick zu heben.
»Dann eben nicht.«
Wütend ging Dengler zurück, sprang in das Loch, nahm die Schaufel und stieß sie wütend ins Erdreich.
I don't want you to work all day
* * *
Am nächsten Tag regnete es. Es war ein freundlicher, warmer, aber lang andauernder Frühlingsregen. Dengler stand im Unterhemd in seinem vierten Loch und schippte, in kurzer Zeit stand das Wasser bereits bis zu seinen Knöcheln. Am Abend zuvor hatte Olga seine Hand verbunden. Der Schmerz verschwand zwar nicht, aber er war erträglicher geworden.
Der Regen schwemmte den Boden auf, immer wieder lösten sich von den aufgeworfenen Haufen und den lockeren Grubenrändern Erdklumpen und Lehmbrocken und stürzten in die Löcher. Im Laufe des Vormittags verstärkte sich der Regen, und die kleinen Erdrutsche wurden immer häufiger. In kleinen Bächen und ockerfarbenen Wasserfällen strömte das Wasser in die Gruben. Olga stand oberhalb des Erdauswurfes und hielt einen Schirm über ihn. Er bat sie mehrmals, in die Pension zu gehen oder bei dem Italiener auf ihn zu warten, aber sie ließ sich nicht beirren und beschirmte in.
Die Beobachtergruppe auf der anderen Straßenseite war kleiner geworden. Vier alte Männer standen dort, einer von ihnen in einen durchsichtigen Kunststoffregenmantel gehüllt, die anderen schützten sich mit dunklen Schirmen vor dem Regen.
* * *
Gegen Mittag gibt Georg Dengler auf.
Ich kann nicht mehr.
»Hilf mir aus dieser Gruft«, sagt er zu Olga.
Dann wirft er die Schaufel nach oben.
Sie bückt sich und streckt ihm die Hand entgegen. Er ergreift sie, und Olga zieht. Er stützt sich am Rand der Grube ab, damit Olga nicht sein ganzes Gewicht ziehen muss. Hinter ihm ertönt ein dumpfes Platschen, so wie er es den ganzen Morgen gehört hat: Wieder hat die Nässe einen Teil der Grubenwand gelöst, wieder ist Erde und Lehm in die Lache am Grubenboden gefallen.
Plötzlich stößt sie einen Schrei aus und lässt seine Hand los. Dengler ist darauf nicht gefasst und stürzt rückwärts in die Grube zurück, der Grubenrand, auf den er sich gestützt hat, bricht ein. Mit dem Kopf schlägt er hart auf den Rand der gegenüberliegenden Grubenseite und verliert für einige Sekunden das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kommt, sieht er Olga am Rand des Grabens in der Hocke sitzen. Den Schirm hat sie fallen lassen. Ihre Augen sind schreckgeweitet, sie hält beide Hände vor ihren Mund. Sie starrt ihn an und zeigt dann stumm mit der rechten Hand auf Dengler.
Dengler wischt sich das Regenwasser aus den Augen. Nein, sie starrt und deutet nicht auf ihn. Sie deutet auf eine Stelle direkt neben ihn, dort, wo er mit dem Rücken an der Grubenwand noch halb liegt oder steht, so wie er gefallen ist, als sie seine Hand losgelassen hat.
Langsam wendet Dengler den Kopf und sieht in die Richtung, in die Olga zeigt. Aus der lehmigen, tropfenden Grubenwand ragen die Finger einer Hand, nur noch Knochen, aber eindeutig eine menschliche Hand.
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66. Das Gewehr lag vor ihm auf dem Tisch
Das Gewehr lag vor ihm auf dem Tisch. Er hatte es am Nachmittag aus dem Versteck genommen, wo es lange Zeit gelegen hatte, eine sehr lange Zeit, in Ölpapier
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