Das dunkle Universum 1 - Traeumende Leere
übersteigt.«
»Hatte Mutter Lorellan einen Zeitblick?«
»Keinen besonders guten, nein. Gestern Abend war sie wegen irgendwas beunruhigt, konnte es aber nicht genau benennen.«
»Sie konnte ihre eigene Ermordung nicht voraussehen? Was ist das denn für ein Zeitblick?«
Erneut fing Salrana an zu schluchzen.
»Oh, Herrin, es tut mir leid«, sagte er und drückte sie fest an sich. »Ich hab nicht nachgedacht. Ich bin so blöd.«
»Nein, Edeard. Du bist gekommen, um mir zu helfen. Mir, unter allen in Ashwell, all deinen ganzen Freunden, deinem Meister. Warum? Warum ausgerechnet mir?«
»Ich … Die ganzen Jahre über war es immer wie ›du und ich gegen den Rest der Welt‹. Du warst der einzige Freund, den ich hatte. Ich glaube nicht, dass ich es ohne dich geschafft hätte. Wie oft habe ich daran gedacht, einfach abzuhauen, hinaus in die Wildnis.«
Sie schüttelte entsetzt den Kopf. »Dann wärst du ein Bandit geworden, wärst einer der Eindringlinge gewesen letzte Nacht.«
»Sag so etwas nicht. Niemals. Ich hasse sie. Erst meine Eltern, und jetzt …« Er konnte nicht anders, als den Kopf hängen zu lassen und zu weinen. »Alles. Alles ist vorbei. Ich war nicht in der Lage, ihnen zu helfen. Alle hatten sie Angst davor, wie stark ich geworden war. Dann, als sie mich wirklich gebraucht hätten, war ich zu absolut nichts nütze.«
»Nein, das stimmt nicht«, sagte sie. »Du hast mir geholfen.«
Lange Zeit saßen sie einfach nur aneinandergeschmiegt da. Nach einer Weile versiegten Edeards Tränen. Er trocknete sich das Gesicht, fühlte sich idiotisch und elend. Salranas Hände tauchten auf und legten sich um seine Wangen. »Willst du mich?«, flüsterte sie.
»Äh … ich. Nein.« Es fiel ihm nicht leicht, darauf zu antworten.
»Nein?« Ihre Gedanken, ohnehin schon zerbrechlich, sandten eine Welle verwirrten Schmerzes hinaus. »Ich dachte –«
»Nicht jetzt«, sagte er und nahm ihre Hände. Er wusste, was es war, der niederschmetternde Kummer, die Verlassenheit, die Furcht; es lag alles so offensichtlich in ihren Gedanken. Sie brauchte Trost, und körperliche Nähe war der größte Trost, den es gab. Angesichts seines eigenen angeschlagenen Zustands hätte gewiss auch er neuen Mut daraus geschöpft. Doch sie bedeutete ihm zu viel, und es hätte sich zu sehr nach einem Ausnutzen der Situation angefühlt. »Ich würde wirklich gern, aber du bist noch zu jung. Viel zu jung.«
»Linem hat im letzten Jahr ein Kind bekommen, und sie war nicht ganz so alt, wie ich es heute bin.«
Er konnte nicht anders als grinsen. »Das perfekte Vorbild einer Novizin für ihre Herde.«
»Herde? Ich bin wohl die Einzige, die Übriggeblieben ist von dieser Herde.«
Augenblicklich fiel Edeards Grinsen in sich zusammen. »Ja, die Einzige.«
Salrana schaute zu der steinernen Abdeckung hinauf. »Glaubst du, da oben ist noch jemand am Leben?«
»Ja, ein paar. Natürlich. Ashwell ist zäh und nicht unterzukriegen, jedenfalls hat Akeem das immer gesagt. Nur so hat es sich in den letzten paar Jahrhunderten so erfolgreich allem Wandel widersetzen können.«
»Und du würdest wirklich wollen?«
»Ich –« Die Art und Weise, wie sie so leichthin von einem Thema zum anderen springen konnte, brachte ihn aus der Fassung, besonders wenn das Eine ein ganz bestimmtes Thema betraf. »Ja«, räumte er vorsichtig ein. »Dir muss doch klar sein, wie hübsch du einmal sein wirst.«
»Lügner! Ich muss dreimal die Woche zu Doc Seneo, um mir Gesichtssalbe zu holen.«
»Du wächst zu einer richtigen Schönheit heran«, beharrte er leise.
»Danke, Edeard. Weißt du, du bist wirklich süß. Ich habe niemals an einen anderen Jungen gedacht. Es warst immer nur du.«
»Ähm. Äh ja.«
»Es wäre schrecklich, als Jungfrau zu sterben, findest du nicht?«
»Herrin! Du bist die schlimmste Novizin in der ganzen Leere.«
»Red nicht so’n Stuss. Die Herrin muss ein erfülltes Liebesleben gehabt haben. Sie war Rahs Frau. Halb Makkathran behauptet, von den beiden abzustammen. Das sind eine ziemliche Menge Kinder.«
»Wenn das nicht Blasphemie ist.«
»Nein, es ist menschlich. Darum haben die Firstlifes auch die Herrin gesalbt, um uns daran zu erinnern, wie wir unsere wahre Natur wiederentdecken.«
»Na ja, im Augenblick sollten wir uns vielleicht erst mal Gedanken um unser Überleben machen.«
»Ich weiß. Also, wie alt muss ich denn werden? So alt wie du?«
»Ähm, vermutlich, ja. Ja, das kommt ungefähr hin.«
»So lange kann ich nicht warten.
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