Das dunkle Universum 2 - Schwarze Welt
zu finden war schon nicht leicht. Wurde durch eine Blitzflut stromabwärts gespült. Den Unterlagen entnahmen wir, dass sie in dem Haus oberhalb des Hochwasserpegels in dem Tal gelebt hat. Wir nehmen an, sie hat versucht, während einer Sturmpause die nächstgelegene Stadt zu erreichen. Dort gab’s eine Evakuierungsstelle und sie hatte die Behörden von ihrem Kommen unterrichtet. Doch sie traf niemals dort ein. Muss wohl vom Sturm erwischt worden sein, oder vom Wasser. Vielleicht kann sie uns später ja erzählen, was geschah.«
»Sie wussten, dass sie vermisst wurde?«
»Sicher. Zwar sind die Unterlagen aus dieser Zeit nicht gerade perfekt – natürlich nicht, angesichts der Umstände –, aber wir können auf lückenlose demografische Daten zurückgreifen, und selbstverständlich wurde jeder, der auf Anagaska ankam, sorgfältig dokumentiert. Unser Job ist es, zu versuchen festzustellen, was mit denen geschehen ist, die verloren gingen. Jeder Fall muss mit größter Sorgfalt behandelt werden. In Aevas Fall haben wir siebzig Jahre lang alle in Frage kommenden Orte abgesucht.«
»Sie wollen mich verscheißern«, sagte Aaron.
»Aber nein, ganz und gar nicht.«
»Sorry, aber siebzig Jahre?«
»Zunächst fangen wir mit der Route an, die sie genommen haben muss, picken uns die offensichtlichen Gefahrenpunkte heraus und setzen dort Sensorbots aus. Die schwärmen dann aus und versuchen, irgendeine Spur zu entdecken. Wie unsere gesamte Ausrüstung sind auch die Bots in den Jahrhunderten, die wir hier sind, erheblich besser geworden. Die meisten von ihnen sind Tunneller, die sich durch den Schnee und die oberen Bodenschichten graben können. Während der Stürme wurde so viel Obererde bewegt, dass sich die ganze Topographie des Kontinents veränderte, und jetzt ist alles durch den Permafrost an Ort und Stelle fixiert. Neunzig Prozent der Opfer, die wir dieser Tage bergen, sind verschüttet. Das bedeutet, die Bots arbeiten unter äußerst ungünstigen Bedingungen, selbst für diese Welt. Insgesamt sind bei dem Wiederherstellungsprojekt vierhundertfünfzig Millionen von ihnen eingesetzt worden. Elf Millionen sind immer noch auf der Suche. Sie kommen wahrhaftig nicht schnell voran, aber dafür sind sie ausgesprochen gründlich.«
»Nach wie vielen Vermissten suchen Sie noch?«
»Etwa dreihundertfünfzigtausend. Allerdings mache ich mir nicht sehr viel Hoffnung. Die meisten von ihnen werden ins Meer gespült worden sein.« Er wies auf den verrunzelten Klumpen auf dem Tisch. »Der Wagen der lieben Aeva fand sich siebenundvierzig Kilometer von der Straße entfernt, die sie benutzte, und das war noch einer der leichteren Funde; sie selbst lag tief begraben unter Sediment. Doch Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Noch immer finden wir jedes Jahr um die zwanzig Opfer, selbst heute.«
Sie gingen weiter zur DNA-Sequenzierung. Für Aaron sah die Abteilung aus wie ein ganz gewöhnliches Büro mit fünf großen Smartcores. Selbst unter normalen Umständen zerfiel menschliche DNA relativ schnell; nach zwölfhundert Jahren auf Hanko blieben von ihr nur mehr winzigste Überreste. Doch in jedem Körper gab es eine Menge Zellen, eine jede mit ihren eigenen Fragmenten an Erbinformationen. Mithilfe der richtigen Technik und jeder Menge Computerpower war es möglich, sie wieder abzurufen. Waren die Hauptsequenzen erst einmal ermittelt, konnte sich das Projekt familiärer Daten bedienen, um die Lücken zu füllen. In zahlreichen Fällen standen komplette DNA-Unterlagen von Kliniken zur Verfügung. Und sobald der Leichnam korrekt identifiziert war, wurde ein Klon für das Relifen gezüchtet.
»Das geschieht aber nicht hier«, führte Purillar aus. »Diesen Teil übernehmen die Kliniken auf Anagaska. Wer möchte schon an einem Ort wie diesem aufwachen? Die Betreffenden haben schon genug Probleme damit, sich an die Gegenwart – ihre Zukunft – anzupassen. Die Mehrzahl von ihnen benötigt professionelle Hilfe bei der Wiedereingliederung.«
»Hat sich das Leben denn so sehr verändert?«
»Im Grunde genommen nicht, und die meisten sterben ja in der Hoffnung, irgendwann relifed und damit gerettet zu werden. Es ist die lange, seither vergangene Zeit, die sie erschreckt. Keiner ihrer nahen Verwandten oder Freunde ist ihnen geblieben. Im Moment ihres Erwachens sind sie endlos allein.«
Nach der DNA-Sektion folgte die Abteilung für Gedächtniswiederherstellung, wo versucht wurde, die aus den Memorycells ausgelesenen Informationen
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