Das dunkle Volk: Mondschein: Roman (German Edition)
ich ihnen unbedingt von Heather erzählen. Aber ich glaube, ich werde zuerst eine Runde spazieren gehen. Ich halte mich vom Wald fern, aber ich hoffe, den Uhu wiederzufinden. Vielleicht kann ich ein paar Antworten bekommen. Wollt ihr nicht einfach schon mal mit den Zaubersprüchen beginnen? Ich komme dann dazu und helfe.«
Ich frühstückte zu Ende, nahm meine Jacke und machte mich auf den Weg in den Garten. Die Eiche ragte über mir auf, und ich blickte hinauf in die Krone und staunte, dass ich in der Nacht zuvor tatsächlich so hoch hinaufgeklettert war. Vorsichtig packte ich einen niedrigen Ast und kletterte wieder hinauf. Ich war ungefähr auf der Hälfte angelangt, als ich ein stummes Wispern, eine Art Hallo vernahm. Ich sah mich nach der Eule um, aber niemand war zu sehen, weder humanoid noch geflügelt.
Wer bist du?
Du sitzt auf mir.
Der Baum? Aber schließlich hatte Ulean mir schon öfter Nachrichten von Pflanzen durch den Windschatten übermittelt. Die Natur war weit lebendiger, als man gemeinhin glaubte. Ich lehnte meinen Kopf gegen die knorrige Rinde und versenkte mich in die Energie des alten Holzes. Alt, ja, sehr alt, weit älter als ich.
Ich habe gesehen, wie das neue Volk herkam.
Also musste er einiges über sechshundert Jahre alt sein. Während ich mich an den Baum schmiegte, der mich von Wind und Kälte abschirmte, begann ich zu dösen und mich von meinem Bewusstsein zu lösen.
Wo ist der Uhu?
Er kommt bald zurück. Wir sind Freunde, er und ich. Er beschützt mich vor den Waldkreaturen, den Schattenjägern.
Aber wer ist er?
Der Hüter des Waldes. Er ist mit der Königin von Schilf und Aue aus der Klamm vertrieben worden. Sie ist nicht tot. Sie wartet nur auf den richtigen Zeitpunkt.
Ich würde gern mit ihr reden. Im Augenblick geschieht so vieles.
Vielleicht geht dein Wunsch in Erfüllung, junge Cambyra. Vielleicht geht er in Erfüllung.
Dann ist es also wirklich wahr – das, was gestern geschehen ist? Ich war eine Eule … und bin geflogen. Eine Flut aus Bildern der vergangenen Nacht hüllte mich ein, führte mich zurück und ließ mich erneut die Freiheit der Lüfte spüren, die gestern auf mich eingeströmt war. Fast wäre ich eingeschlafen hier oben in der schützenden, gemütlichen Wiege des Baumes, und voller Wohlbehagen begann ich zu murmeln.
Wach auf, kleine Eule. Du hast noch weit zu wandern bis zum Ruh’n …
›Der Wald schweigt tief und lockend nun, doch ich hab noch mein Teil zu tun und weit zu wandern bis zum Ruh’n.‹ Ein Gedicht. Du kannst doch nicht etwa lesen, oder? Woher kennst du das?
So vieles kommt durch den Windschatten. Hast du wirklich gedacht, es zieht ungehört an mir vorüber? Es tut mir leid, kleine Eule, dass du zu den blutigen Reißzähnen gehen musst, aber glaub mir, sie sind nicht so grässlich wie das, was im Wald lauert. Und manchmal sind die Ungeheuer so schrecklich schön und die Helden abscheulich. Geh nun und ruh dich aus. Dein Freund wird zurückkommen und dir eine weitere Lektion in der Kunst des Fliegens erteilen, verlass dich darauf. Er wacht über dich.
Meine Augen flatterten auf, und schlagartig war ich wach und fror. Es war Zeit, wieder vom Baum zu steigen.
Ulean ließ sich auf meiner Schulter tragen. Der Baum … ja, er ist alt und weise, wenn auch nicht so alt wie ich. Du kannst ihm vertrauen. So sind sie, die Bäume: Wenn sie einmal Partei ergriffen haben, wechseln sie nur selten die Seiten.
Einen Augenblick später gesellte ich mich wieder zu den anderen, die noch mit den Schutzmechanismen beschäftigt waren, doch während ich mich durch Kräuter und Kristalle arbeitete, waren meine Gedanken meilenweit fort und hoch oben im Dunkel des Himmels.
Um Punkt sieben stand ich in der Vecktor Hall des New-Forest-Konservatoriums vor Lannans Büro. Leo war neben mir, der Wagen, mit dem wir gekommen waren, stand wartend auf der Straße vor dem Gebäude. Nervös, da ich nicht wusste, wie das Ganze ablaufen würde, hob ich den Kopf und klopfte zögernd.
»Herein.« Das Wort hallte durch den Flur, als die Tür lautlos aufschwang. Ich blickte hinein und sah Lannan an seinem Tisch sitzen.
Altos’ Büro war so seltsam widersprüchlich wie der Mann selbst. Das Mobiliar war alt, düster, schwer und handgefertigt, doch in den Regalen stand neueste Technologie, und wie in Martas Haus herrschte auch hier der Eindruck von Minimalismus vor, sobald man über das Basismobiliar hinwegsah. Dennoch erinnerte mich die Atmosphäre an Trauben, die
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