Das dunkle Volk: Mondschein: Roman (German Edition)
den Gedanken kommen könntest, aber nein, Miss Cicely. Ich bin es nicht wert, als Spion eingesetzt zu werden.« Sein Tonfall und der demütig gesenkte Kopf verrieten mir, dass jedes bisschen Selbstachtung, das er einst gehabt hatte, aus ihm herausgeprügelt worden war. Ich betete, dass nicht Grieve den Stock gehalten hatte.
»Chatter, mein Freund. Was machst du dann hier?« Ich hielt ihm die Hand hin, und er nahm sie zögernd. Ich zog ihn in die Arme und drückte ihn, und er entspannte sich ein winziges bisschen. Offenbar fürchtete er sich genauso wie wir.
Er zog den Kopf ein und zuckte halb mit den Schultern. »Ich … ich versuche nur, der Königin aus dem Weg zu gehen. Grieve ist heute nicht da, um mich zu beschützen.«
Das passte. Ich hatte den Eindruck, dass das Leben am Indigo-Hof für Chatter kein Zuckerschlecken war. Und plötzlich kam mir in den Sinn, dass ich durch Chatter wahrscheinlich leichter hineinkommen konnte als durch Grieve. Wenn die Königin es allerdings herausfinden sollte …
»Ich schätze, es ist nicht leicht für euch, jetzt, wo die Königin von Schilf und Aue fort ist. Es tut mir so leid. Ich mochte Lainule.« Ich hielt seinen Blick fest und hätte ihm gern den Schmerz genommen, den ich in seinen hellen braunen Augen sehen konnte.
»Nein«, flüsterte er. »Das Leben war rauh in den vergangenen Jahren. Ich vermisse unsere Königin. Sie war gut und gerecht.«
»Kannst du uns erzählen, was passiert ist?«, fragte Rhiannon. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Er sah sie an, und Traurigkeit zeichnete sich auf seiner Miene ab.
Er mag sie sehr, flüsterte Ulean.
Ich nickte bedächtig. Es war Chatter anzusehen. Er bebte unter ihrer Berührung, als sie ihm den Arm streichelte. Verstohlen betrachtete ich Leo, der nicht beglückt aussah.
»Wir müssen wissen, was los ist. Meine Mutter und eine Freundin sind verschwunden. Wir wissen nicht, ob sie tot oder lebendig sind.«
Ich war unendlich erleichtert, dass sie nicht verriet, was Grieve uns bereits gesagt hatte.
Chatter schloss die Augen. »Es tut mir leid. Das alles tut mir so leid. Du wärst besser nicht zurückgekommen, Cicely. Nichts ist mehr so wie früher. Und Miss Rhiannon … deine Mutter und deine Freundin … ich würde so gern helfen.« Sein Blick verschleierte sich, und er ließ den Kopf hängen. »Wir haben gegen sie gekämpft. So viele sind gestorben, so viel Blut ist vergossen worden. Wir kämpften endlos. Grieve führte eine Truppe bis tief hinein in das Hügelgrab, und wir versuchten, Frauen und Kinder durch das Portal hinauszuschaffen. Aber sie holten uns ein …« Er wischte sich mit einer Hand über die Augen, seine Stimme klang wie eine rostige Türangel, und ich begriff, dass man ihn gebrochen hatte. »So viel Blut und Schreie, und kleine Kinder, die in Stücke gerissen wurden.«
»O Chatter.« Rhiannon schlang die Arme um ihn, und er lehnte sich an sie. »Ich möchte die Erinnerungen nicht wieder hervorholen, aber wir brauchen deine Hilfe. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können. Kannst du uns sagen, was mit Grieve geschehen ist?«
Er blinzelte. »Wir wurden gefasst. Sie wollte sich an mir laben, aber Grieve flehte sie an, mich zu verschonen. Sie tranken so viel von ihm, dass er an den Rand des Todes kam, dann zwangen sie ihn zu trinken. Und er erholte sich rasant. Als er wieder aufstand, wirkte er anders, so fremd. Die Augen waren verändert, er selbst war verändert. Er wirkte … beängstigend. Ich befürchtete, dass er sich nun selbst über mich hermachen würde, aber er sagte nur, er wolle mich behalten, ich sei zwar faul und nutzlos, aber amüsant. Vor der Wandlung hätte mein Freund niemals so etwas gesagt.«
»Und man hat es ihm erlaubt?« Ich trat unmerklich auf den anderen Fuß. Die Kälte drang durch meine Stiefel, aber ich wollte den Augenblick nicht stören.
»Ja. Also bin ich meistens in Grieves Nähe. Die anderen verabscheuen mich, aber Grieve … er versucht, er selbst zu sein. Ich weiß genau, dass er nicht ertragen kann, zu was er geworden ist. Er wäre niemals so mit dir umgegangen, Cicely, wenn ihm dies alles nicht zugestoßen wäre. In seinem Inneren findet eine permanente Schlacht statt. Man kann es in seinen Augen sehen. Er bekämpft sich dauernd selbst.«
Chatter hockte sich auf den Boden, ohne sich um den Schnee zu kümmern, und lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. »Manchmal kann ich nicht mehr und komme hier heraus, um die Illusion der Freiheit zu
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