Das Dunkle
Ernesto draußen bei Darkling Manor. Das Haus steht aber leer. Constanzas Dad ist vermutlich nicht eingetragen.“
„Dann kommt Ernesto vielleicht gar nicht aus der Stadt!“, schrie Jessica. „Sondern vom anderen Ende des Landes!“
„Oder er ist Constanzas großer Bruder.“
„Sie hat keinen.“ Jessica hielt inne, plötzlich war sie sich nicht mehr sicher. Als sie bei Constanza übernachtet hatte, waren ihr keine Geschwister begegnet, wenn aber ein älterer Bruder existierte, der irgendwo anders wohnte, wäre er vielleicht nicht erwähnt worden. Und es war ganz sicher nur Zufall, dass sie Jessica auf dem Parkplatz begegnet war und ihr dann angeboten hatte, sie nach Hause zu fahren …
„Jess.“ Jonathan nahm ihre Hand, aber sie entzog sie ihm.
„Wir behaupten nicht, dass Constanza eine von ihnen ist. Du sollst sie nur nach ihrer Familie fragen. Finde heraus, so viel du kannst.“
„Wir müssen Ernesto finden“, sagte Rex. „Melissa muss noch mal an die Frau drankommen, der wir in Darkling Manor begegnet sind. Sie hat irgendwelche Pläne im Kopf, über irgendeine Baustelle draußen in der Wüste.“
Jonathan redete ihr gut zu. „Sag Constanza einfach, du müsstest einen Bericht schreiben oder so.“
„Ich weiß, dass sich der Name über Generationen zurückverfolgen lässt, sogar noch in die Zeit vor dem Ölboom“, meinte Rex. „Wenn du behauptest, du würdest dich mit der Lokalgeschichte beschäftigen, dann wird ihr das einleuchten.“
„Aber mir leuchtet das nicht ein!“, schrie Jessica. „Ich will sie nicht benutzen. Constanza ist meine einzige Freundin …“
Für kurze Zeit trat betretenes Schweigen ein.
„Außer euch natürlich“, fügte sie schwach hinzu.
Rex und Jonathan sahen sie bloß an. Sie bemühte sich, ihren Mund zum Reden zu bewegen, sich etwas einfallen zu lassen, womit sie das Gesagte revidieren könnte.
„ Wir sind deine einzigen Freunde, Jessica.“
Die drei starrten Melissa an, denn sie konnten nicht glauben, dass sie diese Worte tatsächlich ausgesprochen hatte.
Sogar Rex hatte es die Sprache verschlagen.
„Wir sind die Einzigen, die wissen, wie es in der wirklichen Welt zugeht“, fuhr Melissa fort. „Ich meine, Rex und ich wären aus Las Colonias beinahe nicht rausgekommen. Als du hier angekommen bist, gehörte es nachts eigentlich dazu, dass man fast umgebracht wurde.“ Sie schnaubte in ihrer altbekannten überheblichen Art. „Glaubst du, Constanza Grayfoot hätte so was jemals auch nur annähernd durchgemacht?
Meinst du, sie ist jemals von einem Darkling gejagt worden?
Wir sind es, die dich wie kein anderer verstehen. Wir sind deine Freunde.“
Jessica ließ den Blick über die Straße schweifen, wo die vom Wind aufgewirbelten Blätter wenige Zentimeter über dem Asphalt schwebten. „Ich wollte damit nicht sagen, dass ihr nicht meine Freunde seid“, sagte sie leise.
„Brich dir keinen ab“, sagte Melissa. „Rex und ich werden uns darum kümmern. Wir behalten sie vielleicht nach der Schule ein bisschen im Auge, lesen ein paar von ihren Gedanken.“
„Logo“, stimmte Rex zu. „Kein Problem.“
„Danke“, sagte Jessica. „Und klar, ich werde mit ihr reden.“
„Du hättest es mir heute Nachmittag schon sagen sollen.“
Jonathan antwortete nicht.
„Vielleicht hätte ich mich vor ihnen nicht so unfair benommen, wenn ich vorher schon Zeit zum Nachdenken gehabt hätte“, erklärte sie.
„Tut mir leid“, antwortete er schlicht. „Zum zehnten Mal.“
Jessica seufzte. So, wie sie sich fühlte, hätten ihr weitere zehn auch nichts ausgemacht. Wer es schaffte, neben Melissa wie ein kindisches, selbstsüchtiges Miststück dazustehen, dem gebührte einige Achtung.
Sie saßen zusammen auf dem Kiesdach von Bixbys Einkaufszentrum, umringt von den schwarzen Silhouetten der Abluftrohre und Industrieklimaanlagen.
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll“, meinte Jonathan, der schließlich das Schweigen brach.
„Womit?“
„Mit dir. Für dich, besser gesagt.“ Er hob einen Kiesel auf und schleuderte ihn auf den leeren Parkplatz hinaus. Der Stein wurde allmählich langsamer, als ob er durch unsichtbaren Schaum in der Luft fliegen würde. Dann hielt er plötzlich an und blieb in einer Milchstraße aus Kieseln in der Luft hängen, die Jonathan bereits über die Asphaltebene geschleudert hatte.
Wenn es um Schwerkraft ging, war Jonathan anders als die anderen. Hatte was mit Zeit und Raumzeit zu tun … mit irgendwas
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