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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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mit seinen Geheimnissen erregt. Wenige Sekunden später war es einfach nur ein Haus, die Gardinen vor den Fenstern bedeutungslos wie die zahlreichen anderen heruntergekommenen Behausungen, an denen sie vorbeigefahren war, ohne einen zweiten Blick darauf zu werfen.
    Dann stand Dess da, erinnerte sich an nichts, und sah trotzdem noch einmal hin. Die klaren geometrischen Verhältnisse seiner verrotteten Traufen und die durchgetretene Veranda berührten etwas in ihrem Inneren, weckten ein plötzliches, unerklärliches Verlangen, einen Namen laut auszusprechen.
    „Lovelace“, flüsterte sie.
    Die Tür in ihrem Gedächtnis öffnete sich wieder, und Dess wankte auf ihren Füßen. Die geheime Geschichte von Bixby flutete in ihr Bewusstsein zurück – die gekidnappte Seherin und die verborgenen Überlebenden, die temporale Kontorsion und der verlorene Kampf gegen die Klimaanlagen –, dazu die Erinnerungen an Karten und Tabellen, die sie hier studiert hatte, alles, was sie in diesem verborgenen Archiv gelernt hatte. Und über diese Flut von Erkenntnissen erhob sich das angenehme Gefühl, dass all dies ihr eröffnet worden war, und nur ihr allein.
    Dess lächelte. Die Tür vor ihrem Gedächtnis zu öffnen und zu schließen war cool. Vielleicht noch ein Mal …
    „Hör auf, da draußen rumzualbern! Davon kriege ich Kopfschmerzen.“
    Dess zuckte bei dem dröhnenden Ruf aus dem Haus zusammen. Wieso waren eigentlich alle Gedankenleser so mürrisch?
    Sie ging den mit Laub übersäten Weg hinauf und trat, ohne zu klopfen, durch die Fliegentür. Angebrüllt zu werden war in diesem Fall gleichbedeutend mit der Bitte einzutreten.

    „Pass auf, dass du dir nicht den Kopf stößt“, sagte Madeleine und zog an einem Seil, das von der Decke hing. Die Treppe zum Dachboden senkte sich herab wie die Gangway einer fliegenden Untertasse von Außerirdischen mit einer Vorliebe für rostige Nägel. Als die unterste Stufe den Boden berührte, kletterte die alte Frau mit schnellen, sicheren Schritten nach oben.
    Dess betrachtete misstrauisch das Teetablett, das ihr Madeleine übergeben hatte.
    „Jetzt komm schon. Sonst wird er kalt! Wenn ich es hier hoch schaffe, dann kann das ein junges Ding wie du wohl auch.“
    Dess ärgerte sich über den unfairen Vergleich. Sie konnte nicht erkennen, dass Madeleine mehr als ein aufgerolltes Stück Papier bei sich trug. Sie setzte einen Fuß auf die wacklige Stufe, die daraufhin leise ächzte. Einen Schritt weiter hatte sie ihr Gleichgewicht gefunden, die Gegenstände auf dem Tablett klapperten wie ein Gebiss zum Aufziehen.
    „Komm schon, Mädchen! Trödel nicht rum.“
    Warum irgendjemand hier in Oklahoma ein Haus mit einem Dachboden bauen konnte, war Dess ein Rätsel. Im Sommer war der Speicher eine tödliche Hitzefalle, und übers Jahr sammelte er ununterbrochen Staub. Schritt für Schritt stieg sie weiter. Eine Schrecksekunde lang verlagerte sich ihr Schwerpunkt, als das Tablett sie wie eine schwere Hand nach hinten schob, dann aber nachgab, damit sie sich weiter voranbewegen konnte und endlich oben ankam.
    Nachdem Dess die Luke hinter sich gelassen hatte, nahm ihr Madeleine die Last aus den Händen und sagte: „Ist schon sehr lange her, dass ich meinen Tee hier oben zu mir genommen habe.“
    „Woran dass wohl liegt“, murmelte Dess.
    Doch als sie sich auf dem Dachboden umsah, verwandelte sich ihre Verärgerung in Überraschung. Dess hatte eine Müllhalde erwartet, wie sonst überall im Haus. Aber hier oben gab es fast nichts, keine Möbel, nur einen Kissenberg in einer Ecke. Ein paar Strahlen der Nachmittagssonne, die durch Ritzen in den kleinen, übermalten Fenstern hineinschienen, beleuchteten die staubige Luft. Unter den Dachbalken blieb kaum genügend Platz, um aufrecht zu stehen.
    Im Kriechgang transportierte Madeleine das Teetablett zu der Ecke mit den Kissen und begann, das Geschirr zu verteilen. Mit den Worten „Das hier könnte die Sache klären“ warf sie Dess die Papierrolle zu.
    Dess rollte sie auseinander und erkannte die Umrisse des Hauses sofort. Der dreiteilige Plan war gezeichnet worden, bevor der Verfall des Hauses begonnen hatte. Wie auf Madeleines Karte von Bixby waren darauf die Wirbel der Midnight verzeichnet, aber bis ins kleinste Detail aufgeschlüsselt. Dess runzelte die Stirn und zog den GPS-Empfänger aus der Tasche, prüfte die Zahlen mit äußerster Präzision und rechnete die veralteten Fuß und Inch in Meter und Zentimeter um.
    Sie sah sich noch einmal auf dem

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