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Das Dunkle

Das Dunkle

Titel: Das Dunkle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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entdecken konnte. Das hier hatte eigentlich nichts mit Dess zu tun. Es ging um jene Nacht vor zwei Wochen, als sie Jonathans Hand hatte halten müssen. Es war entsetzlich gewesen – sie konnte die Überraschung des Akrobaten noch schmecken, als er sah, was in ihr war, sein schales Mitleid war in ihren Kopf geflossen, während sie flogen. In Rex war die Angelegenheit aber nur zu einem Gedanken zusammengeschrumpft: Bevor sie ihn in ihre Gedanken hineinließ, hatte sich Melissa mit Flyboy geteilt, dessen bloße Existenz einen Affront gegen Rex’ Autorität darstellte.
    Als sie ihre Augen öffnete, hielt Rex sie in den Armen, den Kopf zur Seite gedreht, um die nackte Haut seines Gesichtes von ihrer fernzuhalten. Der Flur hatte sich fast geleert, aber Leute sahen sie an.
    Melissa stieß ihn von sich. Schrott. Ihr Gesicht war nass.
    „Das würde ich dir nicht antun, Rex. Das mit Jonathan war ätzend, okay?“
    „Vielleicht musst du aber.“
    Sie sah Rex in die Augen, ließ seine Gefühle ungehindert in sich hineinfließen und fragte sich, ob er verstand, wie oft sie Kopfschmerzen bekam von den idiotischen Krächen der Liebenden, die sich genau so anfühlten: sinnlos, besessen und gemein. Melissa war in diesen Fluren über Jahre mit Eifersucht zwangsernährt worden. Das Letzte, was sie brauchte, war das Gleiche mit Rex. War ihm nicht klar, dass sie aus sechzehn Jahren in den Köpfen anderer Leute eines unbedingt gelernt hatte: dass es keinen Sinn machte, seine Freunde zu betrügen?
    Die Glocke läutete. Rex kam zu spät zu seinem Test.
    „Vielleicht musst du aber“, wiederholte er.
    Sie schüttelte den Kopf. „Versuch nicht, mich dazu zu zwingen.“

transorbitale
    6.28 Uhr abends
23
    Beths Spaghettiabend kehrte unerwartet zurück.
    Als sie noch in Chicago lebten, hatte Beth vier Jahre lang jeden Mittwochabend gekocht. Seit ihrem neunten Lebensjahr hatte sie die gleiche Sauce gekocht, die gleiche Spaghettistärke benutzt und auf derselben einfachen Regel bestanden: Man durfte zwar in die Küche, aber nur Beth durfte das Essen anrühren, bevor gegessen wurde.
    Als der vertraute Duft köchelnder Tomaten in Jessicas Zimmer drang, starrte sie einen Moment lang verwirrt auf ihren Schreibtischkalender, schmiss dann ihr Physikbuch in die Ecke und stürzte den Flur hinunter. Ihre kleine Schwester drehte sich vor dem blubbernden Topf um und warf ihr einen Blick zu, der besagte, dass die Regel noch gültig war.
    Jessica lehnte sich an den Türrahmen und lächelte. Beths Spaghettiabend hatte zu den kleinen, wichtigen Dingen gehört, die während des Umzugs verloren gegangen waren, wie die Bedienungsanleitung für den Videorekorder oder der Scheibenkratzer ihres Vaters, fast vergessen unter all den anderen Veränderungen.
    Aber irgendwo tief drinnen, wie Jessica jetzt bemerkte, hatte sie ihn vermisst.

    „Riecht gut“, sagte sie.
    „Schmeckt gut“, antwortete Beth.
    Jessica wollte die Küche durchqueren und ihre Schwester umarmen, aber Beths Anblick schien zu zerbrechlich und der Duft zu flüchtig, um daran zu rühren. Außerdem könnte die Annäherung an den Herd als Verletzung der Regel gewertet werden.
    „Tu nicht so, als hättest du schlechte Laune, Beth.“
    „Mach ich nicht.“
    „Nicht so tun oder keine schlechte Laune haben?“
    „Weder noch.“ Beth warf einen Blick auf Acariciandote an Jessicas Handgelenk, als ob sie ihr noch einmal klarmachen wollte, dass aus keiner Pasta der Welt zu schließen war, dass ihr der Vorfall mit dem Schrank verziehen wurde.
    Jessica seufzte. „Ich hab gesagt, dass es mir leidtut.“
    Beth antwortete nicht. Zwei Tage Schweigestrafe war ihre einzige Vergeltungsmaßnahme für die vorletzte Nacht gewesen, was Jessica aber allmählich hart anging. Bei einer so häufig schreienden Schwester wie Beth wirkte ihr Schweigen umso entsetzlicher.
    Aber wenig später drehte sich Beth um und sagte das Undenkbare: „Willst du probieren?“
    Jessica war kurzzeitig paralysiert. Als ihre Schwester dann den Arm ausstreckte, zwang sie ihre Füße über den Küchenfußboden und versuchte den Verdacht zu unterdrücken, der Löffel könnte mit extrascharfem Tabasco, Batteriesäure oder Schlimmerem gefüllt sein. Sie blies vorsichtig. Ein kleiner roter Tropfen fiel auf den Fliesenboden. Er sah eindeutig nach Spaghettisauce aus. Jessica schloss ihre Augen und ließ die heiße, sämige Sauce vom Holzlöffel auf ihre Zunge fließen.
    Sie war noch nicht fertig, aber der buttrige Geschmack nach fast zu vielen

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