Das Echo aller Furcht
zustehenden Respekt. Auch er hatte seinen Untergebenen ähnliche Vorträge gehalten und war wie immer entschlossen, das Richtige zu tun.
Die Medizin half eine gute Woche lang. Sein Magen wurde wieder besser. Aber fühle ich mich so wie früher? fragte sich der Patient. Besser schon, aber wie ist mir früher beim Aufwachen gewesen? Wer denkt schon an so etwas. Der Verstand konzentriert sich auf wichtige Dinge wie Aufträge und Einsätze und überläßt den Körper sich selbst. Der Leib durfte den Geist nicht beeinträchtigen; er gab Befehle und erwartete, daß sie ausgeführt wurden. Wie konnte man zielstrebig leben, wenn etwas dazwischenfunkte? Und sein Lebensziel hatte er sich schon vor Jahren gesteckt.
Doch die Beschwerden wollten nicht weggehen und zwangen ihn, den Arzt ein zweites Mal aufzusuchen. Diesmal fiel die Untersuchung gründlicher aus, eine Blutentnahme eingeschlossen. Vielleicht ist es doch nicht ganz harmlos, meinte der Doktor und sprach von einer chronischen Infektion, die aber mit Medikamenten zu behandeln sei. Malaria zum Beispiel, früher in der Region weit verbreitet, und einige andere inzwischen von der modernen Medizin besiegte Krankheiten gingen ebenfalls mit Entkräftung einher. Der Arzt wartete nun auf die Labortests und war entschlossen, den Patienten, dessen Lebensziel er kannte und aus sicherer Distanz unterstützte, zu heilen.
Als er zwei Tage später in die Praxis zurückkehrte, merkte er sofort, daß etwas nicht stimmte. Diese Miene hatte er oft genug bei seinem Nachrichtendienstoffizier gesehen. Es ging um etwas Unerwartetes, das die Pläne durcheinanderbrachte. Der Arzt begann langsam, suchte nach Worten, um dem Patienten das Laborergebnis schonend beizubringen, doch der wollte von Schonung nichts wissen. Er hatte ein gefährliches Leben gewählt und verlangte, die Wahrheit so unumwunden zu hören, wie er sie selbst verkündet hätte. Der Mediziner nickte respektvoll und sprach dann offen zu ihm. Sein Patient hörte ungerührt zu. An Enttäuschungen aller Art war er gewöhnt und war auch mit dem Tod, den er selbst oft anderen gebracht hatte, vertraut. Nun war also das Ende seines Lebens in Sicht, in der nahen oder fernen Zukunft. Die Antwort auf eine Frage nach Behandlungsmöglichkeiten fiel optimistischer aus, als er erwartet hatte. Der Doktor beleidigte ihn nicht mit tröstenden Worten, sondern legte ihm – als hätte er die Gedanken des Patienten erraten – die Fakten dar. Es gab Maßnahmen, mit denen man unter Umständen erfolgreich sein konnte. Mit der Zeit würde sich herausstellen, ob sie wirkten oder nicht. Günstige Faktoren waren seine gute körperliche Verfassung und seine eiserne Entschlossenheit. Die Bemerkung des Arztes, daß eine positive Geisteshaltung das A und O sei, hätte der Patient beinahe mit einem Lächeln quittiert. Aber er zeigte lieber den Mut des Stoikers als die Hoffnung des Narren. Und was war schon der Tod? Hatte er sein Leben nicht der Gerechtigkeit gewidmet, dem Willen Allahs, hatte er es nicht für eine große und löbliche Sache geopfert?
Aber da lag der Hase im Pfeffer. Auf Versagen war er nicht eingestellt. Er hatte sich vor Jahren ein Lebensziel gesetzt und war entschlossen, es ohne Rücksicht auf sich selbst oder andere zu erreichen. Auf diesem Altar hatte er alle Alternativen geopfert, die Hoffnungen seiner Eltern, das Studium, ein normales, bequemes Leben mit einer Frau, die ihm vielleicht Söhne geboren hätte – alles das hatte er verworfen und entschlossen einen Weg der Mühsal und Gefahr gewählt, auf ein strahlendes Ziel zu.
Und nun? War alles umsonst gewesen? Sollte sein Leben ohne einen Sinn enden? Durfte er den Tag, in den er alle Hoffnung gelegt hatte, nicht mehr erleben? War Allah so grausam? Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, blieb seine Miene gelassen, sein Blick so reserviert wie immer. Nein, dachte er, das läßt Gott nicht zu. Er kann sich nicht von mir abgewandt haben. Ich werde den Tag noch erleben oder zumindest herannahen sehen. Dann hat mein Leben doch noch einen Sinn gehabt.
Es war doch nicht alles umsonst, auch nicht die Zukunft, wie immer sie auch für ihn aussehen würde. Auch was das betraf, war er entschlossen.
Ismael Kati wollte die Anweisungen des Arztes befolgen, alles tun, was sein Leben verlängerte, um den heimtückischen inneren Feind vielleicht doch noch zu besiegen. Er nahm sich vor, seine Anstrengungen zu verdoppeln, bis an die Grenzen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu
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