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Das Echo aller Furcht

Das Echo aller Furcht

Titel: Das Echo aller Furcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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großzügigen Pension, und das hatte zwei Gründe. Erstens war er ein ehemaliger Oberstleutnant der Stasi, des Geheim-und Spionageabwehrdienstes der nicht mehr existierenden DDR, und zweitens hatte er im Laufe seiner 32jährigen Karriere seine Arbeit gerne getan. Während die meisten seiner früheren Kollegen ihre deutsche Identität vor die alte Ideologie gestellt und beim Bundesnachrichtendienst ausgepackt hatten, war Keitel zu dem Entschluß gekommen, daß er nicht für Kapitalisten arbeiten wollte. So wurde er zu einem Arbeitslosen aus politischen Gründen im vereinten Deutschland, den man aus rein praktischen Erwägungen in Pension geschickt hatte. Die Bundesregierung kam den von der DDR eingegangenen Verpflichtungen in gewisser Weise nach, weil das politisch zweckdienlich war und weil das Land nun einen täglichen Kampf mit widersprüchlichen Fakten zu führen hatte. Es war also einfacher, Keitel ein Ruhegehalt zu zahlen, statt ihn auf die offizielle Liste der Arbeitslosen zu setzen, was als erniedrigend galt. Dies war die Auffassung der Bundesregierung. Keitel sah das anders. Wenn es auf der Welt mit rechten Dingen zuging, fand er, hätte man ihn hinrichten oder ins Exil schicken sollen – nur wohin wußte er nicht. Er hatte erwogen, zu den Russen überzulaufen, weil er beim KGB über Kontakte verfügte, diesen Gedanken aber rasch verworfen. Mit den Bürgern der Ex-DDR wollten die Sowjets nichts mehr zu tun haben; sie fürchteten, von jenen, die dem Weltsozialismus die Treue gebrochen hatten, aufs neue verraten zu werden. Für welche Sache die Sowjetunion inzwischen stand, wußte Keitel allerdings nicht. Er nahm neben Bock in der Ecknische einer stillen Kneipe im alten Ostberlin Platz und sagte: »Das ist sehr gefährlich, mein Freund.«
    »Ist mir klar, Erwin.« Bock bestellte zwei große Bier. Die Bedienung war schneller als vor ein paar Jahren, aber darum kümmerten sich die beiden nicht.
    »Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir die Sache mit Petra tut«, sagte Keitel, nachdem die Kellnerin sich entfernt hatte.
    »Weißt du eigentlich, was sich genau abgespielt hat?« fragte Bock in ruhigem und emotionslosem Ton.
    »Der Kriminalbeamte, der ihren Fall bearbeitete, besuchte sie häufig im Gefängnis – aber nicht, um sie zu verhören, sondern um sie ganz bewußt zum Wahnsinn zu treiben. Dir sollte klar sein, daß der Mut jedes Menschen seine Grenzen hat. Petra hat nicht aus Schwäche gehandelt. Jeder kann seelisch brechen. Das ist nur eine Frage der Zeit. Man hat ihr kaltblütig beim Sterben zugesehen.«
    »So?« Bocks Miene veränderte sich nicht, aber die Knöchel seiner Finger, die das Glas umklammerten, wurden weiß.
    »In ihrer Zelle war eine versteckte Überwachungskamera eingebaut. Der Selbstmord ist auf Videoband. Die Schweine sahen ihr zu und griffen nicht ein.«
    Bock schwieg. Das Lokal war so schummrig, daß niemand sehen konnte, wie blaß er wurde. Heiße Luft wie aus einem Hochofen schien ihm entgegenzufegen, gefolgt von arktischer Kälte. Er schloß die Augen, um sich wieder in den Griff zu bekommen. Petra hätte einen Gefühlsausbruch zu einem so entscheidenden Zeitpunkt mißbilligt. Er schlug die Augen auf und schaute seinen Freund an.
    »Ist das wirklich wahr?«
    »Ich kenne den Namen und die Anschrift des Beamten. Man hat immer noch Freunde«, versicherte Keitel.
    »Das glaube ich dir, Genosse. So, und nun möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«
    »Nur zu.«
    »Natürlich weißt du, was uns in diese katastrophale Lage gebracht hat.«
    »Kommt darauf an, was du meinst«, sagte Keitel. »Das Volk, das sich so leicht verführen ließ, hat mich enttäuscht, aber die Massen waren ja schon immer undiszipliniert und wußten nicht, was gut für sie ist. Verantwortlich für unser nationales Unglück sind...«
    »Genau, die Amerikaner und Russen.«
    »Genosse, selbst ein vereintes Deutschland ist nicht stark genug...«
    »O doch. Wenn wir die Welt nach unserem Bilde neu erschaffen wollen, Erwin, müssen wir den Unterdrückern großen Schaden zufügen.«
    »Aber wie?«
    »Es gibt einen Weg. Kannst du mir fürs erste einmal glauben?«
    Keitel leerte sein Glas und lehnte sich zurück. Er hatte einen Anteil an Bocks Ausbildung gehabt. Mit 56 war er zu alt, um seine Weltanschauung zu ändern, aber immer noch ein guter Menschenkenner. Bock war ein Mann wie er selbst: vorsichtig, rücksichtslos und sehr tüchtig bei verdeckten Operationen.
    »Was stellen wir mit diesem Kriminalbeamten

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