Das Echo aller Furcht
das Eindringen von Pulvergasen unter die Haut aufgequollen. Nur wenig Blut; typisch für Herzwunden. Nach wenigen Sekunden zuckte die Leiche nicht mehr.
»Mit etwas Geduld hätten wir noch mehr aus ihm herausholen können«, kam Keitels Stimme aus dem Off, »aber, wie ich später noch erklären werde, wir haben, was wir brauchen.«
»Nun zu Traudl...«
Man schleppte sie gefesselt, geknebelt und nackt herein. Ihre Augen waren vor Entsetzen riesengroß, und sie versuchte trotz des Knebels etwas zu sagen, aber niemand zeigte Interesse. Das Band war anderthalb Tage alt, wie Günther anhand der Abendnachrichten feststellte, die in einem Fernseher, der in einer Ecke des Raumes stand, gezeigt wurden. Das Ganze war eine professionelle Tour de force, um seinen Anforderungen gerecht zu werden.
Bock konnte sich nicht vorstellen, was der Mann nun dachte: Wie fange ich das am besten an? Nun bereute er einen Augenblick die Anweisung an Keitel. Aber der Beweis mußte eindeutig sein. Manchmal zogen Geheimdienste Zauberer und andere Illusionisten zu Rate, aber es gab Dinge, die sich nicht vortäuschen ließen, und er mußte sicher sein, daß er Keitel mit gräßlichen und gefährlichen Aufgaben betrauen konnte. Anschaulichkeit war eine objektive Notwendigkeit.
Ein anderer Mann warf ein Seil über einen Deckenbalken und zog sie an den Händen hoch. Dann drückte er ihr die Pistole in die Achselhöhle und schoß einmal. Wenigstens ist er kein Sadist, dachte Bock. Solche Typen sind unzuverlässig. Das Ganze war auch so schon traurig genug. Die Kugel hatte ihr Herz durchschlagen, aber sie kämpfte noch eine halbe Minute lang, rang nach Atem, versuchte zu sprechen ... Als sie schlaff hing, tastete jemand nach ihrer Halsschlagader und legte sie dann langsam auf den Boden. Man war so behutsam wie unter den Umständen möglich mit ihr umgegangen. Nun sprach der Schütze, ohne in die Kamera zu schauen.
»Ich hoffe, Sie sind zufrieden. Mir hat das keinen Spaß gemacht.«
»Das war auch nicht der Zweck der Übung«, sagte Bock zum Fernseher.
Der Russe wurde vom Stuhl gehoben und neben Traudl Fromm gelegt. Nun sprach Keitel; eine nützliche Ablenkung, denn das Bild wurde zunehmend grauenhafter. Bock war nicht gerade zart besaitet, aber das ganze belastete ihn psychisch. Notwendig oder nicht, es kam ihm überflüssig vor.
»Der Russewar, wie wir gesehen haben, eindeutig Geheimdienstoffizier. Sein Auto war in Berlin gemietet und wird morgen nach Magdeburg gefahren und zurückgegeben. Es stand in einiger Entfernung vom Haus geparkt, die selbstverständliche Maßnahme eines Profis, für den Fall einer Festnahme aber ein verräterischer Hinweis. Im Wagen fanden wir eine Liste von Personen, die allesamt in der Atomindustrie der DDR arbeiten. Es hat den Anschein, als interessierten sich unsere russischen Genossen plötzlich für Honeckers Bombenprojekt. Ich bedaure die Komplikationen, aber wir brauchten mehrere Tage, um die Entsorgung der Leiche zu arrangieren, und wir hatten auch keine Ahnung von Frau Fromms ›Gast‹, als wir bei ihr erschienen. Aber da war es natürlich zu spät. Übrigens regnete es, was die Entführung erleichterte.«
Die beiden Männer trugen Schutzanzüge und hatten nun Kapuzen und Masken aufgesetzt, wohl des Geruchs wegen, und um ihre Identität nicht preiszugeben. Wie in einem Schlachthaus war eimerweise Sägemehl ausgestreut worden, um das in Strömen fließende Blut aufzusaugen. Bock wußte aus eigener Erfahrung, was für eine Schweinerei bei einem Mord entstehen konnte. Die beiden arbeiteten flott, während Keitels Kommentar weiterlief. So etwas konnte niemand vortäuschen. Keitels Männer hatten ohne jeden Zweifel zwei Menschen ermordet, das bewiesen die laufenden Kameras; zweifellos machte dies auch die Entsorgung leichter. Die Leichen wurden säuberlich nebeneinandergelegt und in Plastik verpackt. Ein Mann fegte das blutgetränkte Sägemehl zusammen und schaufelte es in einen Müllsack.
»Die Leichen werden an zwei weit voneinander entfernt liegenden Stellen verbrannt. Bei Eingang des Bandes ist das längst erledigt. Ende der Meldung. Wir erwarten weitere Anweisungen.« Auf dem Bildschirm erschien wieder die Dramatisierung der Olympiade von 1920 – oder war es 1924? fragte sich Bock. Unwichtig.
»Was gibt’s?«
»Einer meiner Offiziere meldet sich nicht«, erwiderte ein Oberst des Direktorats T, der technischen Abteilung des Ersten Hauptdirektorats, ein Dr. ing., der sich auf Raketensysteme
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