Das Echo aller Furcht
Sache oder Mission so wichtig wurde, daß man grundlegende Dinge wie Menschenleben oder das Leben eines Gegners außer acht ließ. Er hatte die Perspektive nie verloren und wußte, daß es so weit auch nicht kommen würde. Was aber an ihm nagte, waren die Kleinigkeiten. Er verwandelte sich in einen Funktionär, dem Anerkennung, Status und Einfluß wichtig waren.
Er schloß die Augen und dachte an das, was er bereits hatte: eine Frau, zwei Kinder, finanzielle Unabhängigkeit, Erfolge, die ihm niemand wegnehmen konnte.
Und doch: Du wirst langsam so wie die anderen, sagte er sich.
Er hatte gekämpft und getötet , um seine Familie zu verteidigen. Vielleicht stieß sich Elliot daran, aber in einem stillen Moment wie diesem entsann sich Jack jener Zeit mit einem dünnen, grimmigen Lächeln. Keine 200 Meter von seinem Sessel entfernt hatte er einem Terroristen drei Kugeln in die Brust gejagt, kalt und einwandfrei – Ziel im Visier! -, wie er es beim Marinckorps gelernt hatte. Daß sein Herz tausendmal in der Sekunde geschlagen hatte, daß er sich beinahe in die Hosen gemacht hatte und erbrochen hätte, waren Nebensächlichkeiten. Er hatte seine Männlichkeit auf jede denkbare Weise bewiesen – eine prächtige Frau gewonnen und geheiratet, zwei Kinder gezeugt und sie alle mit Mut und Geschick verteidigt. Jack hatte jede Herausforderung des Schicksals angenommen und bewältigt.
Stimmt, dachte er und grinste den Fernseher an. Zum Teufel mit dieser Fotze. Komische Vorstellung: Liz Elliot als Sexobjekt. Wer wollte schon was mit diesem eiskalten, dürren, arroganten Biest und ... was noch? Ryan hielt in Gedanken inne und suchte nach einer Antwort. Was hatte sie noch? Eigentlich war sie schwach und zaghaft. Was steckte hinter dem aggressiven Gehabe und der Härte? Wahrscheinlich nicht viel. Diesen Typ Sicherheitsberater hatte er schon einmal erlebt: Cutter, der sich der Verantwortung entzogen hatte. Wer wollte schon mit Liz Elliot schlafen? Sie hatte nicht viel im Kopf und auch keine inneren Werte zum Ausgleich. Ihr Glück, daß der Präsident auf Bunker und Talbot zurückgreifen konnte.
Du bist besser als der ganze Verein, sagte er sich. Mit diesem befriedigenden Gedanken leerte er das Glas und erwog, es nachzufüllen. Im Grunde genommen war der Wein gar nicht so übel.
Als Ryan aus der Küche zurückkam, saß Cathy in ihrem Lieblingssessel mit der hohen Rückenlehne und ging ihre Krankenblätter durch.
»Magst du ein Glas Wein, Schatz?«
Dr. Caroline Ryan schüttelte den Kopf. »Danke, ich habe morgen zwei Operationen.«
Jack ging zu seinem Sessel und sah seine Frau kaum an, entdeckte dann aber etwas aus dem Augenwinkel. »Oh!«
Cathy hob den Kopf und grinste ihn an. Ihr Gesicht war hübsch geschminkt. Jack fragte sich, wie sie es fertiggebracht hatte, in der Dusche ihre Frisur nicht zu ruinieren.
»Wo hast du das her?«
»Von einem Versandhaus.«
Dr. Caroline Muller Ryan, M. D., F. A. C. S., trug ein schwarzes Negligé, das meisterhaft enthüllte und verbarg. Er konnte nicht sagen, was das Gewand überhaupt hielt. Darunter hatte sie etwas Zartes ... Hübsches an. Seltsam war nur die Farbe, denn Cathy trug sonst im Bett nur Weiß. Das wunderbare weiße Nachthemd, das sie in der Hochzeitsnacht getragen hatte, konnte er nicht vergessen. Sie war zwar keine Jungfrau mehr gewesen, aber die weiße Seide hatte sie so ... auch diese Erinnerung wird dir immer bleiben, sagte sich Jack. Sie hatte es seitdem nie wieder angezogen und gesagt, so etwas trüge man wie ein Brautkleid nur einmal. Womit habe ich diese wunderbare Frau verdient? fragte sich Jack.
»Was verschafft mir die Ehre?« wollte er nun wissen.
»Ich habe mir Gedanken gemacht.«
»Worüber?«
»Nun, Jack ist sieben, Sally ist zehn. Ich will noch eins.«
»Was denn?« Jack stellte sein Glas ab.
»Noch ein Kind, du Döskopp!«
»Und warum?«
»Weil ich eins kriegen kann und will. Tut mir leid«, fuhr sie mit einem sanften Lächeln fort. »Hoffentlich ist dir die Anstrengung nicht zuviel.«
»Das schaffe ich noch.«
»Ich muß morgen um halb fünf aufstehen«, sagte Cathy dann. »Der erste Eingriff ist vor sieben angesetzt.«
»Und?«
»Und deshalb gehe ich jetzt ins Bett.« Cathy stand auf, ging zu ihrem Mann hinüber und küßte ihn auf die Wange. »Bis gleich.«
Ryan blieb zwei Minuten lang still sitzen, leerte dann mit einem Zug sein Glas, schaltete den Fernseher aus und lächelte vor sich hin. Dann sah er nach, ob die Haustür abgeschlossen
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