Das Echo aller Furcht
Stadt. Über kanadische Satelliten der Anik-Serie erreichte er mit seinem Programm, das vorwiegend aus alten TV-Serien bestand, Alaska, Kanada und den Norden der zentralen USA.
Das KOLD-Gebäude hatte einmal der ersten Fernsehanstalt von Denver gehört und entsprach den Vorschriften, wie sie in den 30er Jahren von der Rundfunk-Aufsichtskommission erlassen worden waren: ein bombensicherer Monolith aus Stahlbeton, dessen Spezifikationen man noch vor der Entwicklung der Atombombe festgelegt hatte. Fenster gab es nur in den Büros der Senderleitung auf der Südseite. Zehn Minuten nach der Detonation ging jemand an der offenen Tür des Programmdirektors vorbei, blieb wie angewurzelt stehen, machte kehrt und rannte zurück in die Nachrichtenredaktion. Eine Minute später fuhr ein Kameramann mit dem Lastenaufzug aufs Dach. Das Bildsignal erreichte über Kabel den Sendekomplex und ging von dort aus auf dem Ku-Band an den unbeschädigt gebliebenen Anik-Satelliten.
In Alaska, Montana, Norddakota und drei kanadischen Provinzen wurde die Wiederholung einer Komödienserie für Teenager aus den Fünfzigern unterbrochen. In Calgary in der Provinz Alberta sah eine Lokalreporterin, die immer noch für Dwayne Hickman, den Star der Serie, schwärmte, verblüfft das Bild, hörte den Kommentar aus dem Off und rief ihre Redaktion an. Ihr atemloser Bericht wurde sofort von der Nachrichtenagentur Reuters weiterverbreitet. Kurz darauf sendete die kanadische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft CBC das Video über ihren intakt gebliebenen Anik nach Europa.
Inzwischen drangen zwei FBI-Agenten in das KOLD-Gebäude ein und verkündeten in der Nachrichtenredaktion ihr Sendeverbot. Angesichts der Tatsache, daß die beiden Männer Schußwaffen trugen, hatte der Protest der Journalisten wegen verfassungswidriger Verletzung der Pressefreiheit wenig Gewicht. Wenigstens entschuldigten sich die Agenten, als sie die Stromzufuhr des Senders kappten. Die Mühe hätten sie sich allerdings sparen können. Denn was als nutzloses Unterfangen begonnen hatte, war nun vollends zur Farce geworden.
»So, und was tut sich?« fragte Richards seinen Stab.
»Wir haben keine Ahnung, Sir. Ein Grund für den Alarm wurde nicht angegeben«, erwiderte der Kommunikationsoffizier lahm.
»Wir sitzen also zwischen zwei Stühlen, nicht wahr?« Das war eine rhetorische Frage. Der Gefechtsverband der Theodore Roosevelt passierte gerade Malta und war nun in Reichweite der Ziele in der Sowjetunion. Das bedeutete, daß die Erdkampfflugzeuge A-6E Intruder starteten, rasch auf ihre Reiseflughöhe gingen und kurz darauf in der Luft betankt wurden; nun hatten sie genug Treibstoff, um ihre Ziele auf oder in der Nähe der Halbinsel Kertsch zu erreichen. Noch vor einem Jahr hatten die Flugzeugträger der US-Marine, obwohl sie eine beträchtliche Anzahl von thermonuklearen Bomben an Bord trugen, nicht zu den SIOP-Einheiten gehört. Das Akronym (sprich: »Sai-Op«) stand für »Singulärer integrierter Operations-Plan«; die Absicht war die Zerschlagung der Sowjetunion. Mit der Reduzierung der strategischen Raketen – im Fall der USA meist landgestützt – hatte sich auch die Anzahl der verfügbaren Gefechtsköpfe radikal verringert, und wie es Planer überall tun, hatte auch der SAC angegliederte, für die Auswahl der Ziele zuständige Stab mit allen Mitteln versucht, die Kürzungen zu kompensieren. Das Resultat war, daß ein Flugzeugträger unter SIOP-Bedingungen operierte, sobald er in Reichweite seiner sowjetischen Ziele gelangte. Im Fall der USS Theodore Roosevelt bedeutete dies, daß sie beim Passieren Maltas keine konventionelle »Theater«-Einheit mehr war, sondern zu einer nuklearstrategischen Kraft wurde. Um diesen Auftrag erfüllen zu können, hatte der Träger 50 für den Abwurf von Flugzeugen bestimmte Kernwaffen B-61-Mod-8 an Bord, die in einem besonderen, scharf bewachten Magazin gelagert wurden. Die B-61 hatte eine einstellbare Sprengleistung von mindestens 10 und höchstens 500 Kilotonnen, war 3,6 Meter lang, knapp 30 Zentimeter dick, stromlinienförmig und wog nur um die 300 Kilo. Eine A-6E konnte zwei dieser Waffen tragen; alle anderen Aufhängungspunkte waren mit Zusatztanks belegt, um den Gefechtseinsatzradius von über 1700 Kilometern zu ermöglichen. Zehn A-6E hatten die Sprengkraft eines ganzen Geschwaders Interkontinentalraketen des Typs Minuteman an Bord und waren gemäß dem Prinzip, daß Menschen meistens Freunde oder zumindest Kollegen statt Fremde töten,
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