Das Echo aller Furcht
ließ. Die zweite Welle sollte mehr Eindruck machen.
PRÄSIDENT NARMONOW:
WIR ENTSANDTEN FLUGZEUGE NACH BERLIN, UM DIE LAGE EINZUSCHÄTZEN. SIE WURDEN OHNE WARNUNG VON SOWJETISCHEN RAKETEN ABGESCHOSSEN. WARUM?
»Was soll das bedeuten?«
»›Ohne Warnung abgeschossen Die Flugzeuge schickte man, weil dort gekämpft wird! Das Regiment hat Luftabwehrkräfte«, erklärte der Verteidigungsminister, »die aber nur aus Raketen bestehen, die nicht in große Höhen reichen. Hätten die Amerikaner sich aus 10 000 Metern informiert, hätten wir ihnen nichts anhaben können. Sie müssen also im Tiefflug angekommen sein, um ihren Truppen Luftunterstützung zu geben. Nur unter diesen Bedingungen konnten wir sie erwischen.«
»Uns liegen aber keine Informationen vor?«
»Richtig, und wir haben immer noch keinen Kontakt hergestellt.«
»Dann werden wir diese Nachricht aus Washington nicht beantworten.«
»Das wäre ein Fehler«, sagte Golowko.
»Die Lage ist ohnehin schon gefährlich genug«, rief Narmonow ärgerlich. »Wir haben keine Ahnung, was dort vor sich geht. Wie kann ich reagieren, wenn er behauptet, Informationen zu haben, über die wir nicht verfügen?«
»Mit Ihrem Schweigen bestätigten Sie den Vorfall.«
»Wir geben nichts zu!« schrie der Verteidigungsminister. »Es wäre überhaupt nicht so weit gekommen, wenn man uns nicht angegriffen hätte, und außerdem steht nicht fest, ob sich der Vorfall überhaupt ereignete.«
»Teilen wir ihnen das mit«, schlug Golowko vor. »Wenn sie erkennen, daß wir ebenso konfus sind wie sie, verstehen sie vielleicht, daß –«
»Sie werden uns weder verstehen noch glauben. Man hat uns bereits beschuldigt, den Angriff geführt zu haben, und wird uns auch nicht abnehmen, daß wir die Lage in Berlin nicht unter Kontrolle haben.«
Narmonow zog sich an einen Ecktisch zurück und schenkte sich eine Tasse Tee ein, während Golowko und der Verteidigungsminister diskutierten. Der sowjetische Präsident schaute zur Decke. Die Befehlszentrale ging auf Stalin zurück und war am Ende eines Nebengleises der Moskauer U-Bahn von Lasar Kaganowitsch erbaut worden, Stalins liebstem jüdischen Antisemiten und treuestem Handlanger. Sie lag 100 Meter tief in der Erde, und nun erfuhr er von seinen Leuten, daß auch sie keine wirkliche Sicherheit bot.
Was denkt Fowler nur? fragte sich Narmonow. Der Tod so vieler amerikanischer Bürger mußte den Mann erschüttert haben, aber wie konnte er glauben, daß die Sowjets dafür verantwortlich waren? Und was ging im Augenblick eigentlich wirklich vor? Ein Gefecht in Berlin, ein möglicher Zusammenstoß zwischen Marineeinheiten im Mittelmeer, Ereignisse, die in keinem Zusammenhang standen – oder?
Kam es darauf überhaupt an? Narmonow starrte auf ein Bild an der Wand und erkannte, daß diese Punkte in der Tat nebensächlich waren. Mit Fowler hatte er gemeinsam, daß für sie als Politiker der Schein mehr Gewicht hatte als die Realität, und Wahrnehmungen wichtiger waren als Fakten. Der Amerikaner hatte ihn in Rom in einer trivialen Angelegenheit angelogen. Log er jetzt auch? Und wenn das der Fall war, galt aller Fortschritt der vergangenen zehn Jahre nichts mehr. Alles war umsonst gewesen.
Wie brechen Kriege aus? fragte sich Narmonow still in seiner Ecke. In der Geschichte waren Eroberungskriege von starken Führern vom Zaun gebrochen worden, denen es nach mehr Macht gelüstet hatte. Die Zeit der Männer mit imperialistischen Ambitionen aber war vorbei; den letzten dieser Verbrecher hatte der Tod vor nicht allzu langer Zeit ereilt. Der Umschwung war im 20. Jahrhundert gekommen. Wie hatte der Erste Weltkrieg begonnen? Ein Attentäter mit TB hatte einen dröhnenden Hanswurst umgebracht, der bei seiner eigenen Familie so unbeliebt gewesen war, daß sie noch nicht einmal zu seiner Beerdigung kommen wollte. Eine anmaßende diplomatische Note hatte Zar Nikolaus bewogen, einem Volk, für das er geringe Sympathien empfand, zu Hilfe zu kommen, und dann hatten die Fahrpläne für die Mobilisierung das Geschehen bestimmt. Wie sich Narmonow entsann, hatte Nikolaus die letzte Chance gehabt. Es hatte in seiner Macht gestanden, den Krieg zu verhindern. Aber da ihm die Kraft fehlte, hatte er aus Furcht und Schwäche den Mobilisierungsbefehl unterzeichnet, einen Schlußstrich unter eine Ära gezogen und eine neue beginnen lassen. Ausgebrochen war der Konflikt, weil kleine, furchtsame Männer weniger Angst vor einem Krieg hatten als davor, Schwäche zeigen
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