Das Echo der Flüsterer
Berserker die Treppe heraufstürmen. Mit der Steinbrüstung im Rücken erwartete er den Anführer der Malkits.
»Du niederträchtiges Bürschchen!«, schrie Kanthelm, als er wie vom Katapult geschossen auf das Dach sprang.
»Halt!«, rief Jonas. »Einen Schritt weiter und ich lasse den Spiegel über die Zinne fallen.« Zur Unterstreichung seiner Drohung hielt er die Kristallscheibe mit beiden Händen über die Brüstung.
Kanthelm verharrte mitten im Lauf. »Das würde ich nicht tun, Junge!«
»Was sollte mich davon abhalten?«
»Ich würde dich in feine Scheiben schneiden und dann zum Abendbrot verspeisen.«
Jonas erwiderte trotzig: »Wer sagt mir denn, dass du nicht dasselbe tust, wenn ich dir den Spiegel überlasse?«
»Du hast mein Wort darauf.«
»Das ist so viel wert wie das Schwarze unter meinem Fingernagel.«
»Na, dann mach einen besseren Vorschlag, Junge!«
»Wirf alle deine Waffen ins Tal hinab, dann kannst du herkommen und dir den Spiegel holen.«
»Ich müsste ja verrückt sein!«
»Wie du willst. Dann lasse ich den Spiegel gleich jetzt fallen…«
»Nein! Nicht!«, rief Kanthelm. Seine überlegene Miene war verschwunden. Er glaubte wirklich, was Jonas sagte. Mit einer besänftigenden Geste bat er um Zeit. »Ich werde tun, was du verlangst.«
Nicht ohne Befriedigung verfolgte Jonas nun die Selbstentwaffnung des mächtigsten Mannes jenseits der Hängenden Berge. Gleichzeitig arbeitete sein Hirn fieberhaft an einem Fluchtplan. Ihm war klar, dass er Kanthelm nicht trauen durfte. Der Malkit würde ihn kaltblütig umbringen, sobald er nur die Gelegenheit dazu hätte. Immerhin dürfte Kanthelm ohne seine martialische Waffensammlung Jonas an Größe und Körpergewicht in etwa ebenbürtig sein. Wenn es also eine Chance gab den Malkit auszutricksen, dann so.
»Siehst du, jetzt bin ich so unbewaffnet wie du«, sagte Kanthelm, nachdem er sein Schwert, die Dolche und auch das merkwürdige Silberrohr der Tiefe übergeben hatte. Er hatte beide Arme ausgestreckt und zeigte Jonas die leeren Handflächen.
»Dann komm herüber. Aber langsam!«, antwortete Jonas. Er traute dem Malkit noch immer nicht.
Kanthelm schlenderte gemächlich auf Jonas zu. Das brutale Gesicht des Malkits hüllte sich in ein unverbindliches Lächeln. Wenn nur der kleine Papagei noch einmal käme!, dachte Jonas. Dann könnte er versuchen samt Spiegel die Treppe hinunterzukommen. Jonas war ein schneller Läufer! Seine Aussichten, in diesem Wettkampf zu siegen, standen gar nicht so schlecht. Und wenn er sich erst unten befand, dann würde Trojan ihn und den Spiegel in Windeseile davontragen.
Sehnsüchtig hielt Jonas nach dem schillernden Vögelchen Ausschau, aber es war nirgends zu entdecken. Dafür kam Kanthelm immer näher.
Als er kaum vier Schritte von Jonas entfernt war, bemerkte der Malkit den bohrenden Blick des Jungen, der nicht auf ihn, sondern auf irgendeinen Punkt über seiner rechten Schulter gerichtet war. Im fiel das kleine Biest wieder ein, dieser winzige Vogel, der ihm seinen ganzen Plan vermiest hatte. Gab es etwa noch mehr davon? Unsicher blickte er nach hinten. Der Himmel war leer. Nur um sicherzugehen, wandte Kanthelm nun sogar den ganzen Oberkörper herum.
Dadurch verriet er Jonas das Versteck seines dritten Dolches.
»Bleib stehen oder der Spiegel fällt!«, rief der sogleich.
Kanthelm gehorchte.
»Ich wusste, dass ich dir nicht trauen kann!«
»Was? Wieso? Ich habe doch…«
»Ja, du hast noch einen deiner Dolche für mich übrig gelassen. Da, er steckt in einer Scheide an deinem Rücken. Weg damit. Sofort!«
»Nur ruhig, Junge. Ich lege ihn sofort ab. Muss ihn wohl vergessen haben.« Kanthelm lächelte um Verzeihung heischend. »Ich bin ein sehr vorsichtiger Mann. Da kann es schon mal vorkommen, dass ich eine meiner kleinen Sicherheitsvorkehrungen vergesse.«
»Das kannst du deinen Malkits erzählen, aber nicht mir.«
»Schon gut! Schon gut. Hier, schau, ich lass ihn da liegen.« Kanthelm bückte sich, um den Dolch auf die Steine zu legen. Jonas verfolgte mit Misstrauen jede seiner Bewegungen. Eigentlich sollte er den Malkit auffordern die gebogene Klinge mit dem Fuß wegzustoßen.
Schon hatte Kanthelm die Hand geöffnet und begann sich wieder aufzurichten, als er plötzlich mit unfasslicher Kraft auf Jonas zustürzte. Der Angriff kam so plötzlich, dass Jonas beinahe zu spät reagierte. Sein linkes Handgelenk steckte bereits in der Rechten des Malkits, aber die andere Hand hatte Jonas über den
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