Das Echo der Flüsterer
Jonas noch von Kanthelm, sondern direkt aus dem Himmel herab. Beide blickten überrascht nach oben. Ein schwarzer Blitz fuhr auf Kanthelms Gesicht hernieder. Scharfe Krallen bohrten sich in seine Haut und ein spitzer Schnabel stach ihm in das Auge.
Ein furchtbarer Schmerzensschrei zerriss die Stille über dem Turm. Selbst die Wölfe am Fuß der Klippe konnten ihn hören. Doch Jonas war noch nicht gerettet. Kanthelms Waffe konnte ihn noch immer treffen. Im letzten Moment bog er den Oberkörper weit über die Brüstung zurück… und entging nur um Haaresbreite dem heransausenden Kristallspiegel. Kraarks unbarmherziger Angriff hatte Kanthelms Hieb zwar die Treffsicherheit geraubt, nicht aber den Schwung. Von unsäglichen Schmerzen gepeinigt, ließ der Malkit den Spiegel los – worauf dieser in hohem Bogen über die Turmzinne flog.
Bestürzt blickte Jonas Keldins Spiegel hinterher. Die Scheibe trudelte wie ein welkes Blatt in die Tiefe, immer weiter, bis die Dunkelheit des schwarzen Schlundes sie verschluckte. Während Kanthelm verzweifelt mit der schwarzen Bestie kämpfte, die es auch noch auf sein zweites Auge abgesehen hatte, schien Jonas wie entrückt. Er hörte nichts, starrte nur in den Rachen des Berges, der die letzte Hoffnung für die Menschenwelt verschluckt hatte.
Ein furchtbarer Laut riss Jonas in die Wirklichkeit zurück: ein helles Klirren, das aus der Tiefe des Felsenschlundes zu ihm heraufdrang. Keldins Spiegel war zerborsten. Er hatte aufgehört zu existieren.
Und um Jonas herum herrschte das reinste Tohuwabohu. Kanthelm kämpfte noch immer mit dem Raben. Das Gesicht des Malkits war blutüberströmt und da, wo sich einmal sein linkes Auge befunden hatte, klaffte ein hässliches rotes Loch. Aber was Jonas mit viel größerem Entsetzen erfüllte, war der unheimliche Laut aus der Tiefe des Felsenschlundes. Das Klirren des zersprungenen Spiegels war längst verklungen, der Berg jedoch schien seine Zerstörung nicht hinnehmen zu wollen: Ein tiefes Grollen hatte eingesetzt, als würde jeden Augenblick eine Lavafontäne aus dem Felsenloch schießen.
»Jetzt lauf schon los!«
Kraarks Ruf riss Jonas endgültig aus seiner Erstarrung. Anstatt aber auf seinen gefiederten Freund zu hören, überlegte er, wie er ihm helfen könnte. Der Rabe setzte dem Malkit unaufhörlich zu, aber Kanthelms Kraft war unglaublich. Obwohl er schwer verletzt war, kämpfte er mit eisernem Willen weiter. Das Blut in seinem Gesicht behinderte ihn zwar, doch Kraark hatte alle Flügel voll zu tun, um den windmühlenartigen Armen zu entgehen.
»Mach schon, Jonas! Ich komm allein klar. Aber lange kann ich ihn nicht mehr beschäftigen.«
Endlich hörte Jonas auf den Freund. Er eilte seitwärts davon, um den Treppenaufgang zu erreichen. Da sah er aus den Augenwinkeln ein blaues Glitzern. Der Dolch! Schnell sprang er zu dem am Boden liegenden Kristallstilett, hob es auf und setzte seinen Weg zur Treppe fort.
Er hatte es geschafft. Jetzt konnte ihn Kanthelm unmöglich mehr einholen. Sobald seine Füße die ersten Stufen erreichten, blickte er noch einmal zu dem Malkit hinüber. Sein Atem setzte aus, als er sah, wie der blutige Arm Kanthelms voll gegen den in der Luft flatternden Raben prallte. Kraark wurde zur Seite geschleudert und verschwand kreischend hinter derselben Mauerbrüstung, über die auch Keldins Spiegel gefallen war.
Jonas’ Herz krampfte sich zusammen. Er fühlte mit einem Mal unbändigen Zorn in sich aufsteigen. Wenn er jetzt umkehrte, dann konnte er Kanthelm in die Tiefe stoßen…
Doch da streckte sich der Malkit. Kanthelms Atem ging schnell, aber als er sich langsam umdrehte, strahlte eine grausame Kraft von ihm aus. Ein einzelnes, unnatürlich weiß anmutendes Auge blickte aus einer blutigen Fratze so hasserfüllt zu Jonas herüber, dass dieser glaubte, das Angesicht des Todes zu sehen. Ohne noch zu zögern, stürzte er die Treppe hinunter.
In dem halb zerstörten Turmgemach sprang er mit vier Schritten zu dem nächsten Abgang hin. Keine der Treppen verfügte mehr über ein Geländer und Jonas’ Augen kamen, während er schon die ersten paar Stufen genommen hatte, auf eine Ebene mit dem Fußboden des Zimmers. In diesem Moment erblickte er das kleine bunte Federknäuel.
Der Papagei! Kanthelm hatte auch ihn auf dem Gewissen. Eine neue Woge des Zorns brandete durch Jonas. Damit er hatte entkommen können, musste das winzige Vögelchen sterben! Das hatte er nicht gewollt!
Über sich hörte er Schritte. Kanthelm
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