Das Echo der Flüsterer
Abgrund geschwungen.
Für einen winzigen Augenblick zögerte er – wohl wegen des Gedankens, buchstäblich das Schicksal seiner Welt in der Hand zu halten –, da hatte Kanthelm ihn auch schon mit einem furchtbaren Ruck nach vorne gerissen. Der Spiegel rutschte aus Jonas’ Hand und landete klirrend, aber unversehrt auf dem Boden des Turmes.
Jonas keuchte vor Schmerz und hielt sich die Schulter. Einen Herzschlag lang glaubte er, der Malkit habe sie ihm ausgerenkt. Aber da sah er auch schon, wie Kanthelm auf seinen Runddolch zusprang. Sogleich stürzte Jonas hinterher. In einer einzigen fließenden Bewegung bückte sich Kanthelm, bekam den Dolch zu fassen und richtete sich gerade wieder auf – da war Jonas schon bei ihm.
Mit einem verzweifelten Sprung hatte er die letzte Distanz zum Gegner überbrückt. Noch in der Luft riss er den Kristalldolch aus dem Gürtel und hielt ihn dem heransausenden Messer des Malkits entgegen.
Ungläubiges Staunen lag in Kanthelms Augen, als sein Unterarm von der noch halb mit einem Taschentuch verhüllten Waffe aufgespießt wurde. Sein eigener Dolch zischte am Kopf des Jungen vorbei und landete scheppernd irgendwo außer Reichweite. Wut brach wie glühende Lava aus ihm hervor. Er schrie, weniger aus Schmerz als vielmehr wegen der Erkenntnis, dass er seinen Gegner unterschätzt hatte. Erst als Jonas seine Hand mit dem blauen Stilett zurückzog, sah Kanthelm wirklich, was sich unter dem jetzt blutbefleckten Taschentuch befand.
Wenn nun Jonas geglaubt hatte, Kanthelm würde ihm eine Atempause gönnen, dann hatte er sich getäuscht. Mit unbändiger Kraft ging der Malkit nun erneut gegen ihn vor und drängte ihn Schritt um Schritt zurück. In seiner Wut trat Kanthelm mit den Füßen, schlug pausenlos mit der linken Faust und setzte selbst den verletzten rechten Arm hin und wieder ein. Jonas war geschickt genug den Gegner mit dem Kristalldolch auf Distanz zu halten, kam dabei aber der Mauerbrüstung immer näher. Plötzlich stieß seine Ferse gegen den am Boden liegenden Spiegel und er strauchelte.
Während Jonas noch um sein Gleichgewicht kämpfte und rückwärts stolpernd gegen die Mauerbrüstung prallte, schnellte Kanthelm nach vorne und riss das blau schimmernde Oval vom Boden. Jetzt hatte er eine neue Waffe.
Jonas blickte entsetzt in Kanthelms siegesgewiss grinsendes Gesicht. Der Malkit hielt den Spiegel wie einen Schild mit beiden Händen vor sich und kam langsam näher. In Jonas’ Kopf tobte ein Sturm. Gedankenblitze zuckten durch seinen Geist, aber keiner zeigte ihm einen Ausweg. Der Kristalldolch würde an einem Schild des gleichen Materials wirkungslos abgleiten. Wie nur konnte er sich diesen Angreifer vom Leibe halten?
Beklommen warf er einen Blick in die Tiefe. Der runde schwarze Schlund kam ihm wie ein aufgerissenes Maul vor, das nur darauf wartete, ihn zu verschlingen. Keine Frage, Kanthelm wollte ihn über die Brüstung drängen. Er wollte, dass Jonas für immer im Rachen des Berges verschwand.
In einer verzweifelten Attacke sprang Jonas nach vorn. Kanthelms Hände waren ungeschützt, weil sie Keldins Spiegel umfassten. Also musste er seine Finger treffen. Doch der Malkit reagierte unglaublich schnell. Er wirbelte den Spiegel hoch und der Dolch traf nur die glatte, blau schimmernde Scheibe. Die Waffe schrammte kreischend über Kanthelms Schild.
Erstaunt registrierte Jonas, dass der Dolch sogar den Spiegel hatte ritzen können, nicht aber durchdringen. Das Stilett wurde ihm von der Wucht des Hiebes aus der Hand gerissen. Es klimperte über den Boden und blieb in einer für den Jungen unerreichbaren Entfernung liegen.
»Du hast mich lange genug aufgehalten.« Kanthelms Lächeln war kalt wie Eis.
Noch immer stand Jonas vornübergebeugt vor dem Malkit und sah ungläubig auf seine leere Hand. Er war wie erstarrt. Erst als Kanthelm sich bewegte, wich er hastig bis zur Mauerbrüstung zurück. Hilfe suchend schaute er zum Himmel empor. Wenn doch der kleine Vogel nur käme!
»Ich bin deiner Spielchen überdrüssig«, kommentierte Kanthelm den Blick seines Gegners. »Dein Vogelfreund ist im Augenblick verhindert. Aber du kannst ja inzwischen schon mal selbst fliegen lernen.«
Mit Entsetzen sah Jonas, wie der Malkit mit dem Spiegel ausholte. Kanthelm war unheimlich stark. Dieser Hieb würde seinen Feind unweigerlich in die Tiefe befördern. Schon sauste die Kristallscheibe nach vorn. Jonas hob abwehrend die Arme. Da ertönte ein Schrei…
Der heisere Ruf kam weder von
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