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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den mächtigsten Mann der Sowjetunion. McCloys erste Reaktion auf die Mitteilung des Präsidenten versetzte die stillen Zuhörer aus Azon in Schrecken: Er empfahl energische Schritte zur Entfernung der Raketen, selbst wenn dazu ein Luftangriff oder eine Invasion Kubas erforderlich sei.
    Als der Präsident den Gang betrat, der in den Konferenzraum führte, herrschte auf der anderen Seite des Spiegels Betroffenheit. Anscheinend entwickelte sich alles gerade so, wie Lischka, Ximon und die anderen Bonkas es vorausgesagt hatten. Jonas konnte gar nicht verstehen, warum unter diesen Männern, die doch an das Wohl der Menschen in ihrem Land denken mussten, eine so große Bereitschaft bestand »energische Schritte« einzuleiten, Schritte, die schnell in einer Katastrophe enden konnten.
    Bevor Jack die Tür zum Kabinettszimmer erreichte, hüpfte ihm ein kleines Mädchen über den Weg. Es war höchstens fünf Jahre alt und sah ihn mit großen Augen an. Jack blieb stehen und ließ seine Ritter noch eine Minute länger warten.
    »Wen haben wir denn da? Dieses süße Mädchen sieht ja fast aus wie die Tochter des amerikanischen Präsidenten. Wie hieß er doch noch…?«
    Die Kleine blickte zu ihm auf, sagte aber kein Wort.
    »Hast du Süßigkeiten gegessen?«
    Das Mädchen schwieg noch immer.
    »Caroline, sag, hast du Süßigkeiten gegessen?«
    Wieder keine Antwort.
    »Antworte mir bitte: ja, nein oder vielleicht.«
    Ohne die Geduld ihres Vaters auch nur mit einem einzigen Wort zu belohnen, machte sich Caroline aus dem Staub und floh in den Garten.
    In diesem Moment hatte Jonas eine Idee. »Kannst du auch zu Kennedy sprechen?«, wisperte er seinem Vater ins Ohr.
    Der sah Jonas verwundert an und hauchte zurück: »Hab’s noch nie versucht. Ximon hat gesagt, das sei so gut wie unmöglich. Warum?«
    »Erinnere ihn daran, was mit den Kindern der Welt passiert, wenn sie auf Kuba einen Krieg anfangen.«
    Robert nickte. Er hatte begriffen, dass dies vielleicht das wirksamste Mittel war, um die »energischen Schritte«, von denen John McCloy zuvor gesprochen hatte, zu verhindern. Schnell lehnte er sich zum Spiegel vor und flüsterte: »Jack, jetzt hast du ein schweres Stück Arbeit vor dir. Bestimmt sind die Männer im Kabinettszimmer aufgebracht. Einige fühlen sich durch die Kubaner in ihrer Ehre verletzt. Aber hier geht es nicht nur um die Ehre dieser Männer. Nicht einmal um die Ehre Amerikas. Es geht um die Kinder dieser Welt. Denk an Caroline, an den kleinen John und an all die Kinder, die noch nicht geboren sind. Wenn es zu einem Krieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten kommt, dann haben sie keine Chance.«
    Jonas konnte sehen, wie John F. Kennedy an der Tür zum Cabinet Room innehielt. Sein Blick wirkte einen Moment lang abwesend. Dann atmete er tief durch und zeigte sich seinen Rittern der Tafelrunde.
     
     
    Später würde man von der ersten Sitzung des Exekutivkomitees sprechen, obwohl diese Bezeichnung für den Krisenstab Kennedys erst ungefähr sechs Tage nach diesem 16. Oktober zur offiziellen Formel wurde. Dem ExComm – sein vollständi ger Name lautete Executive Committee of the U. S. National Secu rity Council – gehörten Vizepräsident Johnson, Jacks Bruder Bobby und eine ganze Reihe anderer Minister sowie politische und militärische Berater des Präsidenten an. An diesem Morgen war auch Arthur Lundahl da, Direktor beim National Photographic Interpretation Center, das die brisanten Fotos von den sowjetisch-kubanischen Raketenstellungen ausgewertet hatte.
    Die erste ExComm-Sitzung begann mit dem umfassenden Bericht eines CIA-Beamten ; der die von Major Richard Heyser gemachten Luftaufnahmen zeigte und bis ins Detail interpretierte. Der Mann sah übernächtigt aus. Scherzhaft hatte er eingangs bemerkt, die Frauen des CIA-Teams hätten die letzte Nacht ohne ihre Männer verbringen müssen, damit dieser Bildbericht rechtzeitig fertig gestellt werden konnte. Niemand hatte darüber gelacht.
    Die Politiker konnten auf den Fotos genauso wenig erkennen wie Jonas und die anderen, die sich vor Keldins Spiegel befanden.
    »Kann das nicht auch irgendetwas anderes sein?«, fragte Kennedy gerade.
    »Verschiedene Auswertungsteams sind zu denselben Schlüssen gekommen, Mr. President. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Was Sie da sehen, sind eindeutig MRBM-Komponenten und noch unfertige Abschusseinrichtungen.«
    »Haben Sie auch nukleare Gefechtsköpfe entdeckt?«
    »Nein, Mr. President. Bisher nicht.«
    Nachdem die Fakten,

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