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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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wie man meinte, auf dem Tisch lagen, begann eine lebhafte Diskussion über die Konsequenzen der Entdeckung. Zunächst vertrat eine überwältigende Mehrheit der Anwesenden den Standpunkt, ein schneller und sauberer Luftangriff gegen Kuba sei das beste Mittel, um sich das Raketenproblem vom Hals zu schaffen.
    Während die Äußerungen hin und her gingen und die Möglichkeit eines baldigen Militärschlages sich immer stärker herauszukristallisieren begann, konnte Jonas sehen, wie Bobby dem Präsidenten einen Zettel zuschob. Da Keldins Spiegel genau auf Jack Kennedy gerichtet war, fiel es Jonas nicht schwer, die Worte des Justizministers zu lesen.
    »Jetzt weiß ich, wie Tojo zumute war, als er Pearl Harbor plante.«
    Jonas stieß hörbar die Luft aus, so laut, dass die Flüsterer ihn strafend anblickten. Er verstand sofort, was Robert Kennedy meinte. Der japanische Überfall auf Pearl Harbor war für so ziemlich jeden Amerikaner der Alptraum schlechthin. Seit die Kolonialmächte aus der Neuen Welt vertrieben worden waren, hatte es keinen direkten Angriff mehr auf das Territorium der USA gegeben. Der japanische Ministerpräsident Tojo Hideki musste zumindest geahnt haben, welchen Aufschrei die Versenkung der US-amerikanischen Pazifikflotte auf Pearl Harbor nach sich ziehen musste, als er das Bombardement der Hawaii-Insel Oahu befahl. Jonas konnte nur schwer akzeptieren, dass diese Männer einen Luftangriff planen wollten, der eine ganz ähnliche Reaktion auslösen musste.
    In König Artus’ Tafelrunde wogte unterdessen die Debatte um die richtigen »energischen Schritte«. Jonas überwand seine Betroffenheit und verfolgte wieder mit angehaltenem Atem den Schlagabtausch. Zu seiner Beruhigung schien wenigstens der Präsident die Nerven zu behalten. Er sagte zwar nie viel, aber wenn einer seiner Berater einmal allzu forsch vorpreschte und nach dem Einsatz der Air Force verlangte, dann gelang es ihm immer wieder, durch geschickte Fragen die Schwachpunkte ihrer Pläne offenzulegen. Vielleicht hatte Jonas’ Vater ihn doch nachdenklich gestimmt.
    Einige Zeit später forderte Kennedy eine Vertagung der Sitzung. Man wolle sich am frühen Abend noch einmal treffen. Nachdem er sechs weitere U-2-Missionen angeordnet hatte, entließ er seine tapferen Ritter mit einer Menge von Hausaufgaben.
    »Was haltet ihr davon?«, fragte Robert, als das Bild im Spiegel verblasst war.
    »Sie erinnern mich an eine Schar Kinder, die im Spiel mit verbundenen Augen auf einen tiefen Abgrund zulaufen«, antwortete Darina ruhig.
    »Wir müssen irgendetwas tun, um dieses Feuer zu löschen«, sagte Lischka. Er klang längst nicht so gefasst wie die Wissende. Als ihn alle fragend anblickten, erklärte er: »Ich spreche von dem Feuereifer, mit dem sie einen Luftangriff herbeireden. Ich glaube, das ist zunächst die größte Gefahr. Könnte ich einmal den Spiegel benutzen, Robin?«
    Jonas’ Vater nickte. »Woran denkst du?«
    »Ich kenne den Mann, dem Chruschtschow das Kommando über die sowjetischen Truppen auf Kuba übertragen hat. Es ist der Armeegeneral Issa Plijew. Vielleicht können wir durch ihn erfahren, ob im Kreml schon irgendetwas über die Entdeckung der Amerikaner durchgesickert ist.«
    Jonas sah den kräftigen Flüsterer verwundert an. »So schnell?«
    Lischka zeigte sein breitestes Grinsen. »Der Bär hat dem Adler ein paar durstige Flöhe ins Gefieder gesetzt.«
    Eine Stunde später waren die Gefährten im Saal des Großen Rats schlauer – wenn auch kein bisschen ruhiger. Der Besuch des amerikanischen Botschafters Foy Kohler bei Chruschtschow hatte tatsächlich Auswirkungen gezeitigt, die bis zum Befehlshaber des sowjetischen Truppenkontingents auf Kuba reichten. In einem dreistündigen Gespräch hatte Chruschtschow dem Gesandten Kennedys auseinander gesetzt, dass die UdSSR nicht die Absicht hätte irgendwelche Offensivwaffen auf Kuba zu stationieren. Gleichzeitig kritisierte er scharf die Stützpunktpolitik der USA in Italien und der Türkei. Irgendwer in Chruschtschows Dunstkreis musste wohl durch den Besuch Kohlers Verdacht geschöpft haben und hatte daraufhin noch einmal nach Kuba telegrafiert, um Plijew an seine Anweisungen zu erinnern: Die Mittelstreckenraketen R-12 und R-14 durften ausschließlich auf Chruschtschows Befehl hin gestartet werden, aber über die taktischen Luna-Raketen könne Plijew frei verfügen. Wenn die Amerikaner tatsächlich das erwartete Landemanöver auf Kuba durchführten, dann durften ihnen auf keinen Fall

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