Das Echo der Flüsterer
die großen Raketen in die Hände fallen. Plijew solle den Aggressoren mit den nuklearbestückten Lunas derart einheizen, dass sie nie mehr auch nur einen Gedanken an eine Invasion Kubas verschwendeten.
»Wird der Armeegeneral diesem Befehl gehorchen?«, fragte Sarah besorgt.
Lischkas zumeist fröhliches Gesicht wurde mit einem Mal hart. »Ich fürchte, wenn er es schriftlich hat, dann ja.«
»Schriftlich?«
»Issa Plijew hat sein Kriegshandwerk gelernt, als die Menschen noch auf dem Rücken von Pferden aufeinander losgingen. Er ist ein alter Kavallerist aus dem kaukasischen Grenzland. Anfang Juni dieses Jahres hat es in Nowotscherkassk einen Aufstand gegeben. Tausende von Arbeitern, Frauen und sogar Kindern stürzten die kommunistische Verwaltung in der ehemaligen Hauptstadt der Donkosaken. Chruschtschow gab die Erlaubnis, in die aufständische Menge zu schießen, und Plijew war sein Henker. Issa ist ein Mann von äußerster Selbstbeherrschung. Er wartete erst Chruschtschows persönliche Vollmacht ab, bevor er seine Panzer in Nowotscherkassk einrücken ließ, und zögerte mit dem Feuerbefehl, bis er eine weitere Order von seinem Oberbefehlshaber erhielt. Erst dann zerstreuten seine Truppen die Menge mit Maschinengewehrfeuer.«
Sarah schüttelte entsetzt den Kopf. »Das ist ja furchtbar!«
»Du hattest mich gefragt, ob Plijew die taktischen Atomraketen benutzen würde. Jetzt kannst du dir ein Urteil über ihn bilden.«
»Chruschtschow hat sein Bajonett aufgepflanzt und Kennedy rennt geradewegs darauf los.« Robert rieb sich nachdenklich das Kinn. »Es muss uns etwas einfallen, um die Befürworter eines Luftangriffs gegen Kuba zu bremsen.«
»Dann sollten wir einen Blick auf die Arbeitsgruppen werfen, die jetzt vermutlich in ihren Besprechungszimmern über Angriffsplänen und anderen Alternativen brüten«, schlug Ximon vor.
Nun, da der Kreis um Keldins Spiegel jeden Einzelnen von Kennedys Krisenstab kennen gelernt hatte, war es kein Problem mehr, sich in die verschiedenen Gespräche der Politiker, Beamten und Militärs einzuschalten.
Verteidigungsminister McNamara und Außenminister Rusk hielten mit verschiedenen Personen Meetings ab. Zur Beunruhigung ihrer stillen Beobachter sprachen sie sehr viel über die Vorbereitung des Militärs auf eventuell vom ExComm angeordnete Aktionen. Sie waren offenbar der festen Überzeugung, dass die sowjetischen Raketen noch nicht gefechtsbereit seien, und hielten daher ein gewaltsames Vorgehen für eine wirksame Maßnahme zur Eliminierung der lästigen Waffen. Immer häufiger war nun von einem »chirurgischen Luftangriff« die Rede, worunter die Militärexperten einen überraschenden und sehr gezielten Luftschlag gegen die Raketenstellungen und andere kubanische Verteidigungseinrichtungen verstanden. Jonas wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass diese Männer über einen Bombenangriff sprachen, als handele es sich um eine routinemäßige Blinddarmoperation.
Sein Vater sah das ähnlich. Gemeinsam wurde beschlossen dem Verteidigungsminister etwas mehr Zurückhaltung zu empfehlen. Mit Erfolg. Als sich Ximon vom Spiegel zurücklehnte, begann Robert McNamara bisher nur selten erwähnte Aspekte in die Diskussion zu werfen. Sie waren zwar nicht wirklich neu, aber der für die Landesverteidigung verantwortliche Minister verlieh ihnen nun ein größeres Gewicht. Als die Gesprächspartner auf McNamaras Vorschläge nur mit Skepsis reagierten, geriet auch dessen Strategie wieder ins Wanken.
Überhaupt hatte Jonas schon während der ersten Sitzung des Exekutivkomitees den Eindruck gewonnen, die edlen Ritter der Tafelrunde seien ein sehr wankelmütiges Volk. Es kam ihm vor, als würden die Männer mal den einen und dann wieder einen ganz entgegengesetzten Standpunkt vertreten. Einige schienen es mehr darauf abgesehen zu haben, dem Präsidenten nach dem Mund zu reden, als produktive Vorschläge zu unterbreiten. Da war es ein schwacher Trost, dass der Präsident zu seinem Bruder sagte, er wolle nicht an allen Sitzungen seines Beraterstabes teilnehmen, um ebendiese Reaktion möglichst auszuschließen. Waren das die weltoffenen, vielseitig gebildeten, fachlich erfahrenen Recken, deren unvoreingenommenes Urteil der »König« so schätzte? Jonas empfand das Bild, das man ihm von seinem Land gezeichnet hatte, mit einem Mal als bloßes Blendwerk. Ihm war bewusst geworden, dass die Frage über Leben und Tod der ganzen Menschheit in den Händen einer kleinen Schar bestürzend normaler
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