Das Echo der Flüsterer
Körper.
Jonas’ Augen weiteten sich. Mit einem Mal wusste er, welche Frage er stellen musste. »Ist Kanthelm hinter uns her?«
Kraark nickte.
»Also ist er nicht verbrannt!«, sagte Bergalf fast schon enttäuscht.
»Sein Bilm… Besitzt er Gaben, die uns gefährlich werden könnten?«, wandte sich Jonas erregt an Darina.
»Er hat den Gorrmack schon einmal seinem Willen unterworfen. Ich kann nicht sagen, ob ihm das nicht auch ein zweites Mal gelingen würde.«
»Dann müssen wir unbedingt den Facettensprung ausführen, bevor Kanthelm uns eingeholt hat.«
Die Fliehenden trieben ihre Schelpins nun zu noch größerer Eile an. Die Tiere keuchten vor Anstrengung. Schaum troff von ihren Mäulern. Aus dem wolligen Fell stieg ein unangenehmer Schweißgeruch auf. Aber das kümmerte die Reiter nicht. Sie wussten, dass sie noch nicht gewonnen hatten.
Kanthelm verkörperte in sich alles, was die Malkits auszeichnete: Bosheit ebenso wie Zähigkeit, Rücksichtslosigkeit genauso wie eisernen Willen. Ihn zu besiegen war wirklich nicht leicht. Er war von Kraark halb geblendet worden und hatte sich trotzdem den Gorrmack unterworfen. Bergalf hatte ihn niedergeschlagen und den Flammen überlassen, aber schon wieder war der verbissene Malkit auf den Beinen und jagte ihnen nach.
Als der bogenförmige Eingang zur Höhle aus den Schatten der Nacht auftauchte, begann der Erdboden plötzlich zu beben. Es war ein tiefes Vibrieren, das sich von der gepflasterten Straße über die Beine des Schelpins in Jonas’ Zwerchfell fortpflanzte. Die Tiere gerieten in Panik. Ein paar bange Momente kämpfte Jonas wie ein Rodeoreiter um sein Gleichgewicht. Links und rechts von ihm fielen Gefährten zu Boden. Andere stiegen freiwillig ab.
»Jonas, der Spiegel!«, rief Darina zu ihm hinüber.
Der Junge verstand sofort, was sie meinte. Wenn sein Schelpin ihn abwarf und in die Nacht stürmte, war es nur eine Frage der Zeit, bis Kanthelm wieder in den Besitz des machtvollen Gegenstandes käme.
Jonas’ Rechte fuhr zum Gürtel, während er sich mit der linken Hand am Sattel festklammerte. Keldins Dolch blitzte in der Dunkelheit auf, das Licht schien aus ihm selbst zu quellen. Jonas drehte den Oberkörper herum und zielte nach dem Riemen, der den Spiegel fest hielt. Doch die Klinge drang durch das dichte Fell des bockenden Schelpins und brachte dem Tier eine tiefe Schnittwunde bei.
Mit einem gellenden Schrei stieg das Schelpin vorne auf und warf Jonas ab. Dann rannte es davon. Der Spiegel hing noch immer hinter dem Sattel. Die Verzweiflung wollte ihn gerade übermannen, als der goldene Rahmen scheppernd zu Boden stürzte. Er hatte den Riemen offenbar nur mit der Klinge gestreift, aber durch die heftigen Bewegungen des aufgeregten Tieres war er dann endgültig gerissen.
Azon bebte weiter. Auf schwankenden Beinen liefen die Gefährten zu dem am Boden liegenden Jonas. Darina war zuerst bei ihm. »Alles in Ordnung?«
»Es geht so.«
»Ich habe den Spiegel«, rief Bergalf aus der Dunkelheit. Gleich darauf war er wieder bei den anderen.
Ein letzter starker Ruck ging durch die Welt unter dem blauen Kristall. Dann war alles still.
Numin entzündete eine Bonka-Fackel. In dem unsteten Licht blickte Jonas zu Darinas Gesicht auf. Es wirkte erstaunlich entspannt. »Ist sie…?« Er wagte kaum, die Frage zu stellen. »Ist eure Welt wie… wie früher?«
Darina schüttelte den Kopf, aber sie lächelte. »Es wird noch lange dauern, bis sie wieder zu dem wird, was sie vor Kanthelms boshaftem Anschlag war. Aber jetzt gibt es Hoffnung. Lasst uns in die Höhle gehen, dann werden wir mehr wissen.«
»Wir sollten besser laufen als gehen«, meldete sich Numin. Seine Augen waren hangabwärts auf die Straße gerichtet und sein Arm deutete zu einem Lichterband hin. »Seht, dort. Das muss Kanthelm mit seinen Truppen sein. Sie sind uns dicht auf den Fersen.«
»Dann nichts wie los!«, trieb Bergalf die Gefährten an.
Zu Fuß hasteten die Fliehenden zum Eingang der Höhle und stürzten in den weiten Tunnel. Jonas nahm Bergalf den Spiegel ab und der Fährtensucher entzündete zwei weitere Fackeln.
Nach kurzer Zeit entdeckten sie vor sich einen langen Schatten. Aus dem Licht der Fackeln tauchte Jonas’ Vater auf. Erst sah er seinen Sohn, lief ihm entgegen und drückte ihn an sich. Über Jonas’ Schulter hinweg erkannte er daraufhin die Gesichter der Roly-Poly-Besatzung.
»Captain Woolbridge! Sie leben!« Er ließ von Jonas ab, lief zu den vier Männern aus der B-24
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