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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Pflaume ruhte das Wunder in Jonas’ Handfläche und glitzerte, als tobte ein Sturm winziger Eiskristalle in ihm. Jonas musste an die kitschigen Briefbeschwerer denken, diese Glaskugeln mit einer Winterlandschaft darin, die man durch heftiges Schütteln in einen künstlichen Schneesturm tauchen konnte. Das hier war tausendmal schöner als jener Tinnef. Das Innere des Kristalls befand sich in ständiger Bewegung. Die metallisch funkelnden Flöckchen brauchten keinen Anstoß von außen. Mal fielen sie träge wie leise rieselnder Schnee, dann wieder begannen sie wild herumzuwirbeln. Jeder der kleinen Punkte glitzerte, als wäre er selbst ein Kristall, der wiederum unzählige kleinere seiner Art enthielt. Ein ganzes Universum lag in Jonas Hand – da spürte er plötzlich einen brennenden Schmerz im linken Unterarm.
    Erschrocken ließ er den Kristall fallen und starrte fassungslos auf den Vogel, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war und nun an seinem Arm klebte, als wäre er ein Teil von ihm. Das gefiederte Geschöpf war kaum größer als einer der Kolibris, die daheim manchmal das Haus umschwirrten. Er glitzerte in allen Farben des Regenbogens und piepste und flatterte voller Verzweiflung. Kein Wunder, er konnte sicher ebenso wenig begreifen, warum ein Teil des Flügels in Jonas feststeckte, wie dieser selbst.
    Der hatte sich inzwischen wieder so weit im Griff, dass er besonnen reagieren konnte. Anstatt das Vögelchen mit der freien Hand wegzuwischen und es dabei womöglich ernstlich zu verletzen, sprach er beruhigend auf das zitternde Federknäuel ein. Solange Jonas zurückdenken konnte, hatte er ein Verständnis für Tiere besessen, das jedem gelernten Zoologen oder Verhaltensforscher Rätsel aufgegeben hätte. Doch in diesem Moment war selbst er überrascht.
    »Du musst keine Angst haben.« Dieser einfache Satz beruhigte den kleinen Vogel fast augenblicklich. Jonas bemühte sich so sanft wie möglich zu sprechen, obwohl der Schmerz in seinem Arm heftiger wurde. Ungläubig betrachtete er die Stelle, an der er regelrecht mit dem Tier verwachsen schien: Die äußerste Spitze des Flügels steckte tief in Jonas’ Unterarm. Keine Wunde war zu sehen und auch kein Blut. Verdutzt hob er den Blick und bemerkte erst jetzt, dass er sich in unmittelbarer Nähe eines Kristalls befand, der wie eine sechseckige Nadel steil vor ihm aufragte. Er musste ihm wohl beim Betrachten seines blauen Kiesels zu nahe gekommen sein. Mit einem Schaudern wurde ihm bewusst, was hätte geschehen können, wenn er mit einem größeren Wesen – etwa einem Nashorn – auf diese Weise verschmolzen wäre.
    Vorsichtig bückte sich Jonas, hob seinen runden Stein vom Boden auf und entfernte sich einige Schritte weit von der durchscheinenden Kristallnadel. Dann widmete er sich wieder dem Vögelchen in seinem Arm. Offenbar handelte es sich noch um ein Jungtier.
    »Du siehst ja wie ein Blaukrönchen aus«, flüsterte er ihm zärtlich zu. Sein Großvater hatte ihm einmal Fotos von diesen kleinen Papageien gezeigt. Bei einem Besuch der Samut-Prakarn-Farm, südöstlich von Bangkok, war der General auf sie gestoßen. Diese Vögelchen hatten ihn damals so stark beeindruckt, weil sie am liebsten kopfunter an Bäumen hingen. »Für sie ist die Welt am normalsten, wenn sie auf dem Kopf steht«, hatte Großvater gesagt, eine Äußerung, an die Jonas jetzt seltsamerweise zurückdenken musste.
    Der kleine Papagei beäugte Jonas neugierig.
    »Ich werde jetzt versuchen uns beide zu trennen«, sprach Jonas beruhigend auf den Vogel ein. Gleichzeitig packte er den Flügel mit Daumen und Zeigefinger dicht bei der Stelle, wo die Federn in seinen Arm übergingen. Vorsichtig zog er an der Schwinge. Sofort spürte er einen brennenden Schmerz aufbranden und ließ den Vogel los.
    Dieser blieb noch immer völlig ruhig. Jonas glaubte, das Blaukrönchen würde ihn geradezu mitleidsvoll ansehen.
    »Wenigstens scheint es dir nicht wehzutun«, sagte er mit einem säuerlichen Lächeln und griff erneut nach dem Flügel. »Lass es uns noch einmal versuchen«, bat er. »Und krieg keinen Schreck. Ich muss, glaube ich, etwas fester zupacken.«
    Der Papagei stieß ein leises Schnarren aus, das wie eine vertrauensvolle Aufmunterung klang.
    »Also gut«, sagte Jonas, biss die Zähne zusammen und riss mit einem Ruck an den Federn. Der Schmerz presste ihm alle Luft aus den Lungen, aber er vermied einen lauten Aufschrei, um seinen Leidensgenossen nicht zu erschrecken. Mit Erleichterung blickte Jonas

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