Das Echo der Flüsterer
dann auf seinen blutenden Arm.
»Wir haben es geschafft«, sagte er. Das Blaukrönchen stimmte mit einem leisen Gurgeln zu, sein Flügel war unverletzt geblieben. Schnell ließ sich Jonas in den Sand sinken, setzte den Papagei auf seinem linken Knie ab und förderte ein Taschentuch zutage, mit dem er die Wunde verband. Wie gut, dass Großmutter ihm stets ein sauberes Schnupftuch einsteckte!
»So, das wär’s«, sagte er, als die Verletzung versorgt war. Die Wunde schien nicht allzu tief zu sein, und jetzt, da kein Fremdkörper mehr drinsteckte, brannte sie auch schon viel weniger. Jonas ließ das Blaukrönchen auf seinen Zeigefinger steigen und hob es vor das Gesicht. »Zeit, dass wir von hier wegkommen. Diese Gegend gefällt mir nicht.«
Der Vogel piepste zustimmend.
»Am besten machst du dich gleich aus dem Staub. Mit deinen Flügeln kommst du schneller voran. Ich wünsch dir viel Glück, mein Kleiner.«
Das Blaukrönchen legte den Kopf schräg und betrachtete Jonas intensiv. Für einen kurzen Augenblick streckte es sogar die Flügel aus, legte sie aber gleich wieder am Körper an.
»Nun mach schon«, ermunterte Jonas den Papagei noch einmal. »Du musst nicht auf mich aufpassen. Ich komme schon zurecht. Und nun flieg los, damit dich kein Nashorn verschluckt.« Mit diesen Worten warf er den Vogel in die Höhe.
Das Blaukrönchen protestierte zunächst noch lautstark, beruhigte sich dann aber sehr schnell. Es umflatterte ein-, zweimal Jonas’ Kopf, zwitscherte ihm noch einen Abschiedsgruß zu und schwirrte mit schnellem Flügelschlag davon. Kurz bevor es zwischen zwei Kristallen verschwand, glaubte Jonas noch ein helles »Dankeschön« zu vernehmen, aber er nannte sich selbst einen Narren, jetzt schon zu denken, die Vögel würden wirklich mit ihm sprechen. Kein Wunder, dass seine Sinne ihm in dieser fremdartigen Umgebung einen Streich spielten. Höchste Zeit, dass er von hier fortkam.
Mit schweren Gliedern und dennoch leichten Schritten machte er sich wieder auf den Weg.
Wie viel Zeit verstrichen war, konnte Jonas nicht sagen. Seit er zu Bewusstsein gekommen war, mochte vielleicht eine Stunde vergangen sein oder auch ein halber Tag, er wusste es einfach nicht. Den einzig sicheren Anhaltspunkt lieferten ihm seine schmerzenden Füße. Er wurde immer müder, nicht erstaunlich, wenn er daran dachte, welche Strapazen hinter ihm lagen, seit er aus dem Fenster seines Zimmers in Muddy Creek gestiegen war. Und jetzt wurde ihm auch noch schlecht.
Das Gefühl der Übelkeit hatte just in dem Moment eingesetzt, als er freudig zu dem Schluss gekommen war, dass die Schwerkraft tatsächlich zunahm. Anfangs hatten seine Füße nicht recht am Boden haften wollen, doch nun kam er gut voran. Wenn ihm dabei nur nicht so schlecht gewesen wäre! Dazu dann noch dieses furchtbare Schwindelgefühl. Ab und zu musste er stehen bleiben, weil sich alles um ihn herum drehte.
Immer dann, wenn seine Schwäche ihn schier zu übermannen drohte, schienen auch die Gefahren aus den spiegelnden Kristallflächen besonders bedrohlich zu werden. Einmal wäre er fast in einen fünfzehn Fuß hohen Kaktus gelaufen, der sich jäh vor ihm materialisierte. Ein andermal entkam er nur knapp einem aufgeschreckten Riesenkänguru, das wie wild um sich boxte. Am schlimmsten jedoch war die pelzige Schlange. Normalerweise fürchtete sich Jonas vor keinem Tier, aber als unvermittelt dieses beinlose, behaarte, mindestens dreißig Fuß lange Etwas auf ihn zugeschossen kam, erschrak er doch fast zu Tode. Zum Glück wirkte die Fellschlange genauso orientierungslos wie all die anderen Kreaturen, die seinen Weg kreuzten. Das Tier glitt um Haaresbreite an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes.
Kurz nach diesem Vorfall stieß er auf einen Fluss. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon längst keine Kraft mehr, um das reißende Gewässer zu durchwaten oder gar zu durchschwimmen. Er brachte gerade genug Energie auf, um etwas Wasser aus dem Fluss zu schöpfen und es in der hohlen Hand zum Mund zu führen. Das kühle Nass munterte ihn vorübergehend ein wenig auf. Etwas zuversichtlicher setzte er seinen Weg fort.
Während Jonas an reißenden Stromschnellen entlangwanderte, kam ihm wieder sein Höhlenbuch in den Sinn. Er hatte darin auch von der Mammoth Cave in Kentucky gelesen. Die Mammuthöhle gehörte zu den größten Höhlensystemen der Erde. Sie erstreckte sich über fünf Ebenen und man hatte schon ganze dreihundert Meilen ihrer Gänge vermessen, ohne
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