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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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einfach, war geradezu hingerissen von der gewaltigen Ausdehnung des Loches, das inmitten des Mahlstromes klaffte. Im Auge des Hurrikans, heißt es, herrscht beinahe Windstille. So war es auch hier. Jonas glitt sanft in die Tiefe, der er fast erwartungsvoll entgegenblickte.
    Weit unten entdeckte er ein lebhaftes blaues Glitzern. Er musste an den Organismus eines Wechseltierchens unter dem Mikroskop denken. Wenn man den durchscheinenden Körper nur genügend vergrößerte und von unten her beleuchtete, dann mochte man ein ähnliches Funkeln sehen wie hier. Während er tiefer und tiefer schwebte, machte er sich klar, dass ein Einzeller kaum die Erklärung für dieses pulsierende Leuchten sein konnte. Sank er vielleicht in den Schlund irgendeines Meeresbewohners hinab, der sich auf diese ausgefallene Weise seine Nahrung verschaffte?
    Jonas verwarf diese Theorie. Gleich würde er das Niveau des Meeresspiegels erreichen. Er befand sich jetzt genau über dem Zentrum des Wirbels. Und er hatte noch immer keine Angst. Es gab ja auch Jäger, die ihre Beute betäubten, bevor sie sie verschlangen. Womöglich konnte auch dieses riesige Ding hier seinen Opfern ein trügerisches Gefühl von Sicherheit eingeben.
    Nein. So war es nicht. Fast teilnahmslos registrierte Jonas, wie die Wild Goose mit Sam Chalk an Bord ihn passierte. Während das Flugzeug wie an einem Faden gezogen in die Tiefe sackte – zu langsam für einen Sturz, aber zu schnell für einen Segelflug –, zerrte der Captain noch immer verbissen am Steuerruder. Gerne hätte Jonas ihm zugerufen, dass er keine Angst zu haben brauche. Aber Sam Chalk war schon vorbeigerauscht.
    Innerhalb des Strudels wurde es dann doch etwas unheimlich. Der Himmel über ihm schien zu schrumpfen. Jonas hatte das Gefühl in einen Brunnenschacht zu fallen. Immer kleiner wurde der kreisrunde blaue Ausschnitt der ihm bekannten Welt. Um ihn herum gab es nur noch Wasser, eine weißgraue Masse, die von blauen Blitzen durchzuckt wurde. Seltsamerweise war kaum ein Geräusch zu vernehmen.
    Jonas sah wieder nach unten. Er konnte den Fallschirm von Dr. Gould erkennen, eine pastellblaue Scheibe, die sich deutlich von dem ultramarin schimmernden Untergrund abhob. Er holte tief Atem und fragte sich gerade, was ihn wohl am Grunde dieses Wirbels erwarten würde, als etwas Sonderbares geschah.
    Der Fallschirm von Dr. Gould fiel jäh in sich zusammen. Eben noch war er von Luft gefüllt gewesen, im nächsten Augenblick flatterte er schon schlaff nach unten. Der hagere Körper des Diplomaten wurde sichtbar. Ganz offensichtlich stimmte etwas nicht. Der Doktor wand sich wie unter Schmerzen, strampelte mit den Beinen, wirbelte herum. Wie schon das Flugzeug zuvor, sackte er nun schnell nach unten. Aber auch dies war kein freier Fall.
    Jonas wäre jetzt am liebsten an den Schnüren des eigenen Fallschirmes emporgeklettert, um nicht das Schicksal des Doktors teilen zu müssen. Doch selbst wenn dies möglich gewesen wäre, hätte er dadurch allenfalls einen kleinen Aufschub erwirkt. Noch während er diesem absurden Gedanken nachhing, ging ein Ruck durch seinen Fallschirm. Er blickte nach oben und sah die Seide wie ein welkes Blatt auf sich niedersinken. Im nächsten Augenblick spürte er ein Ziehen im Rücken.
    Das glitzernde Blau näherte sich nun schneller. Jonas wirbelte herum und begann sich in den Schnüren des Fallschirms zu verwickeln. Sein Körper schien dem Zerreißen nahe. Doch es war ein anderer Schmerz als der, den er beim Ausstieg aus dem Flugzeug empfunden hatte. Dieses Gefühl erschien ihm vollkommen fremd. Er glaubte, sein Leib würde in die Länge gezogen, mindestens um das Dreifache seines tatsächlichen Maßes. Dann wieder meinte er auf die Größe einer Erbse zu schrumpfen. Manchmal arbeitete sein Verstand ganz klar und er fragte sich, wie seine Organe eine derartige Tortur überhaupt durchstehen konnten. Dann wieder sah er bunte Sterne vor seinen Augen tanzen und fühlte nun doch so etwas wie Furcht, nicht wirkliche Todesangst, aber doch eine nagende Ungewissheit, wie das hier alles enden würde.
    Jonas drehte sich immer schneller… Sollte er Teil dieses Strudels werden, zuletzt ganz mit ihm verschmelzen? Das Reißen und Ziehen glich nun mehr einem krampfhaften Zucken, kaum schmerzhafter als zuvor, aber so unangenehm wie ein Zahnarztbohrer bei der Arbeit. In seinem Kopf tobte ein Feuerwerk. Seine Gedanken explodierten. Er selbst schien in den sprühenden Funken zu vergehen. Jonas schrie. Aber er

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