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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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gewesen war, und sie wollte auch nicht wissen, wo ich die Nacht verbracht hatte. Vermutlich war der Überbringer der Nachricht am Vorabend derart überzeugend aufgetreten, dass gar kein Raum für Sorgen geblieben war. Falls ihr meine verkniffene Miene überhaupt auffiel, so zeigte sie keine Neugier. Sie hob lediglich kurz den Blick von dem Kleid, an dem sie gerade nähte, und begrüßte mich. Nicht besonders herzlich, aber auch nicht verärgert. Einfach neutral.
    » Die Seidenkordel ist uns ausgegangen«, informierte sie mich. » Señora Aracama möchte die Anprobe von Donnerstag auf Freitag verschieben, und Señora Langenheim sagte, das Kleid aus Shantungseide müsse anders fallen.«
    Während meine Mutter weiternähte und mir die neuesten Ereignisse berichtete, nahm ich einen Stuhl und setzte mich ihr gegenüber, so nah, dass unsere Knie sich fast berührten. Dann begann sie etwas wegen der Lieferung einiger Ballen Satin zu erzählen, die wir in der Woche zuvor bestellt hatten, doch ich ließ sie nicht ausreden.
    » Sie wollen, dass ich nach Madrid zurückgehe und für die Engländer arbeite, dass ich ihnen Informationen über die Deutschen beschaffe. Sie wollen, dass ich ihre Frauen ausspioniere, Mutter.«
    Ihre rechte Hand, mit der sie die Nadel durch den Stoff geführt hatte, blieb in der Luft stehen. Was sie noch hatte sagen wollen, blieb ungesagt, ihr Mund geöffnet. Ohne sich zu bewegen, warf sie mir über die Halbbrille, die sie schon damals zum Nähen aufsetzte, einen bestürzten Blick zu.
    Ich sprach nicht gleich weiter. Zuerst holte ich ein paar Mal tief Luft und stieß sie kraftvoll wieder aus, als könnte ich nicht mehr richtig atmen.
    » Sie sagen, Spanien ist voller Nazis«, fuhr ich dann fort. » Die Engländer brauchen Leute, die sie darüber informieren, was die Deutschen tun – mit wem sie sich treffen, wo, wann, wie. Sie haben vor, mir ein Atelier einzurichten, und ich soll für die Frauen der Deutschen nähen, damit ich ihnen dann erzählen kann, was ich gesehen und gehört habe.«
    » Und du, was hast du ihnen geantwortet?«
    Ihre Stimme, wie die meine auch, war kaum mehr als ein Flüstern.
    » Dass ich es nicht mache. Dass ich es nicht kann und nicht will. Dass es mir hier gut geht mit dir. Dass ich kein Interesse daran habe, nach Madrid zurückzukehren. Aber sie haben mich gebeten, noch einmal in Ruhe darüber nachzudenken.«
    Das Schweigen breitete sich im ganzen Raum aus, kroch zwischen die Stoffballen und die Schneiderpuppen, umkreiste die Garnrollen, legte sich auf die Nähbretter.
    » Und das würde helfen, damit Spanien nicht noch einmal in den Krieg zieht?«, fragte sie schließlich.
    Ich zuckte die Achseln.
    » Im Prinzip kann alles helfen, zumindest glauben sie das«, antwortete ich wenig überzeugt. » Sie wollen eine Gruppe geheimer Informanten aufbauen. Die Engländer möchten, dass wir Spanier uns bei dem, was in Europa gerade vor sich geht, heraushalten, dass wir uns nicht mit den Deutschen verbünden und nicht eingreifen. Das wäre am besten für alle, meinen sie.«
    Meine Mutter senkte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf das Kleid, an dem sie gerade arbeitete. Eine Weile sagte sie gar nichts, überlegte, dachte in aller Ruhe nach und strich ganz in Gedanken über den Stoff. Schließlich sah sie auf und nahm ganz langsam die Brille ab.
    » Willst du meinen Rat hören, Sira?«
    Ich nickte energisch. Ja, natürlich wollte ich ihren Rat, wollte von ihr bestätigt wissen, dass meine Entscheidung vernünftig war, wollte aus ihrem Mund hören, dass dieses Vorhaben absolut unsinnig war. Ich wollte die Mutter von früher zurück, die mir unverblümt sagte, für wen ich mich denn hielte, mit einem Mal die Geheimagentin spielen zu wollen. Ich wollte die unerschütterliche Dolores meiner Kindheit zurück: die vernünftige, die resolute, die immer wusste, was richtig war und was falsch. Die mich aufgezogen und mir den rechten Weg gewiesen hatte, von dem ich eines schlechten Tages abgewichen war. Doch nicht nur für mich hatte sich die Welt verändert: Auch das Leben meiner Mutter war gründlich erschüttert worden.
    » Schließ dich ihnen an, meine Tochter. Hilf mit, arbeite mit. Unser armes Spanien darf nicht noch einmal in den Krieg ziehen, es hat keine Kraft mehr.«
    » Aber, Mutter, …«
    Sie ließ mich nicht ausreden.
    » Du weißt nicht, wie es ist im Krieg, Sira. Du bist nicht immer wieder aufgewacht vom Rattern der Maschinengewehre, von den Explosionen der Granaten. Du

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