Das Echo der Traeume
dass es zu irgendwelchen Reibereien kommt. Natürlich sitzen die beiden Gruppen separat. Aber es kommt gar nicht so selten vor, dass Baron von Stohrer, der deutsche Botschafter, zufällig zur gleichen Zeit seinen Tee mit Zitrone genießt wie die Spitze des diplomatischen Korps Seiner Majestät oder ich selbst Schulter an Schulter mit meinem deutschen Amtskollegen am Tresen stehe. Die deutsche Botschaft liegt praktisch gegenüber, und auch unsere ist ganz in der Nähe, Ecke Fernando el Santo und Monte Esquinza. Abgesehen von den Ausländern treffen sich im Embassy auch viele Spanier aus der Aristokratie. Man findet wohl nirgendwo in Spanien so viele Träger eines Adelstitels an einem Ort versammelt wie im Embassy zur Cocktailstunde. Diese Aristokraten sind überwiegend Monarchisten und anglophil, will sagen, sie stehen meistens auf unserer Seite und sind deshalb für uns, was Informationen angeht, weniger von Interesse. Aber es wäre dennoch gut, wenn Sie einige Kundinnen aus diesen Kreisen gewinnen könnten, denn gerade diese Damen sind es, die von den deutschen Frauen so bewundert werden. Die Gattinnen der hohen Chargen des neuen Regimes hingegen sind meist von anderer Art: Sie sind kaum herumgekommen in der Welt, sind wesentlich zurückhaltender, sie tragen keine Haute-Couture-Mode, gehen kaum aus und natürlich auch nicht ins Embassy, um vor dem Abendessen noch einen Champagnercocktail zu schlürfen. Verstehen Sie, was ich meine?«
» Langsam kann ich mir ein Bild machen.«
» Sollten wir das Pech haben, dass Sie in ernsthafte Schwierigkeiten geraten, oder falls Sie glauben, mir ganz dringend eine Information übermitteln zu müssen, dann ist das Embassy mittags um ein Uhr der Ort, an dem Sie mit mir in Kontakt treten können, und zwar an jedem Tag der Woche. Es ist sozusagen mein verdeckter Treffpunkt mit mehreren unserer Geheimagenten: Das Embassy ist derart öffentlich, dass schwerlich Verdacht geschöpft wird. Wir werden einen ganz simplen Code benützen: Wenn Sie mit mir sprechen müssen, betreten Sie das Lokal mit der Handtasche unter dem linken Arm. Wenn alles in Ordnung ist, wenn Sie lediglich einen Aperitif trinken und sich sehen lassen wollen, dann tragen Sie die Tasche unter dem rechten Arm. Nicht vergessen: links bedeutet problematisch, rechts normal. Und falls die Situation absolut prekär ist, lassen Sie die Handtasche beim Eintreten fallen, sodass es wie eine Unachtsamkeit aussieht.«
» Was meinen Sie mit › absolut prekärer Situation‹?«, fragte ich nach. Mir schwante, dass sich hinter diesem mir unbekannten Wort wohl etwas sehr Unangenehmes verbarg.
» Eine unverblümte Drohung. Unmittelbarer Zwang. Ein körperlicher Angriff. Hausfriedensbruch.«
» Was würde in so einem Fall mit mir geschehen?«, erkundigte ich mich, nachdem ich einmal schwer geschluckt hatte. Es kam mir plötzlich vor, als hätte ich einen Kloß im Hals.
» Kommt darauf an. Wir würden die Situation analysieren und je nach Einschätzung aktiv werden. Falls die Lage äußerst prekär ist, würden wir die Operation abbrechen und versuchen, Sie an einen sicheren Ort zu bringen, um Sie möglichst bald außer Landes zu schaffen. Bei mittlerem Risiko würden wir verschiedene Möglichkeiten prüfen, Sie zu schützen. Jedenfalls dürfen Sie versichert sein, dass Sie sich jederzeit auf uns verlassen können, dass wir Sie niemals im Stich lassen werden.«
» Ich danke Ihnen.«
» Nicht nötig, das ist unsere Arbeit«, erwiderte er, während er sich sehr konzentriert einen der letzten Bissen Fleisch abschnitt. » Vertrauen wir darauf, dass alles gut geht. Der von uns entwickelte Plan ist bis ins kleinste Detail durchdacht und das Material, das Sie an uns weitergeben werden, nicht mit einem hohen Risiko behaftet. Fürs Erste. Möchten Sie Nachtisch?«
Auch dieses Mal wartete er meine Antwort nicht ab, sondern stand einfach auf, nahm unsere beiden benützten Teller, ging damit zu dem Beistelltisch und kam mit zwei frischen Tellern voller Obst zurück. Seine Bewegungen waren rasch und präzise, wie sie einem Menschen eigen sind, für den Effizienz an oberster Stelle steht, einem Menschen, der keine Sekunde seiner Zeit unnütz vergeudet und sich auch nicht von Bagatellen und Unklarheiten ablenken lässt. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, spießte er ein Stück Ananas auf und fuhr mit seinen Erläuterungen fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben.
» Falls wir mit Ihnen Kontakt aufnehmen müssen, werden wir dies über
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