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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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ich sie nicht ausreden.
    » Hätten Sie Lust, mit mir zusammen zu schneidern?«
    In ihrer Verwirrung gab sie erst gar keine Antwort.
    » Wieder arbeiten, meinst du? In der Schneiderei wie früher?«
    Ich nickte bestätigend und lächelte, um sie ein bisschen optimistischer zu stimmen. Doch sie antwortete mir nicht sofort, sondern wechselte das Thema.
    » Und deine Mutter? Warum nähst du nicht mit ihr zusammen, warum kommst du deswegen zu mir?«
    » Wie ich bereits sagte, sie lebt noch immer in Marokko. Sie ist während des Krieges dorthin, ich weiß nicht, ob Sie das wussten.«
    » Aber ja, aber ja …«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, als hätte sie Angst, dass die Wände mithören und das Geheimnis ausplaudern könnten. » Eines Nachmittags kam sie her, einfach so, ganz überraschend, wie du heute auch. Es sei alles arrangiert, dass sie nach Afrika gehen kann, sagte sie, dass du dort lebst und es irgendwie geschafft hast, dass jemand sie aus Madrid herausholt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie war so ängstlich. Sie kam, um sich meinen Rat zu holen, um mich zu fragen, was ich von der ganzen Sache hielt.«
    Zum Glück ließ mein makelloses Make-up nicht erkennen, wie sehr mich diese Worte bestürzten: Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass meine Mutter zweifelte, ob sie Madrid verlassen sollte oder nicht.
    » Ich habe ihr gesagt, sie solle fortgehen, so bald wie möglich«, fuhr Doña Manuela fort. » Madrid war die Hölle. Wir haben alle fürchterlich gelitten, Liebes, alle. Die Linken haben Tag und Nacht gekämpft, damit die Nationalisten nicht in die Stadt hereinkommen. Die Rechten sehnten genau das herbei und versteckten sich, damit die Roten sie nicht entdeckten und in die Folterkammern schleppten. Und die anderen, Leute wie deine Mutter und ich, die zu keinem der beiden Lager gehörten, hofften nur, dass der Schrecken bald ein Ende nähme, damit wir endlich wieder in Frieden leben könnten. Und das alles ohne eine ordentliche Regierung, ohne dass jemand ein bisschen Ordnung in dieses Chaos brachte. Deshalb habe ich ihr zugeraten, dass sie gehen soll, es war ja kein Leben mehr in Madrid, dass sie diese Gelegenheit nicht verpassen sollte, wieder mit dir zusammen sein zu können.«
    Obwohl ich ganz perplex war, beschloss ich, mich nicht näher nach diesem schon lange zurückliegenden Gespräch zu erkundigen. Schließlich hatte ich meine alte Lehrmeisterin wegen eines ganz aktuellen Vorhabens aufgesucht.
    » Wie gut, dass Sie ihr zugeredet haben, Doña Manuela, Sie wissen gar nicht, wie dankbar ich Ihnen bin«, antwortete ich. » Es geht ihr jetzt ausgezeichnet, sie ist sehr zufrieden und arbeitet wieder. Ich habe 1936, wenige Monate nach Kriegsbeginn, ein Atelier in Tetuán aufgemacht. Dort war alles ruhig, und obwohl den Spanierinnen nicht der Sinn stand nach Festen und schönen Kleidern, so gab es doch einige ausländische Damen, denen der Krieg in Spanien ziemlich gleichgültig war. Und so wurden sie meine Kundinnen. Als meine Mutter nach Tetuán kam, schneiderten wir gemeinsam weiter. Und jetzt habe ich beschlossen, nach Madrid zurückzukehren und hier ein weiteres Atelier aufzumachen.«
    » Und du bist allein zurückgekommen?«
    » Ich bin schon lange allein, Doña Manuela. Falls Sie die Geschichte mit Ramiro meinen – die hat nicht lange gedauert.«
    » Dann ist Dolores allein dort geblieben?«, fragte sie erstaunt. » Aber sie ist doch gerade fortgegangen, um mit dir zusammen zu sein …«
    » Es gefällt ihr in Marokko: das Klima, die Umgebung, das ruhige Leben … Wir haben sehr gute Kundinnen, und auch Freundinnen hat sie gefunden. Sie wollte lieber dort bleiben. Ich hingegen habe Madrid vermisst«, schwindelte ich. » Also haben wir beschlossen, dass ich zurückkehre, hier zu arbeiten beginne, und wenn beide Ateliers gut laufen, werden wir noch einmal überlegen, was wir machen.«
    Sie sah mich mit festem Blick an, und die wenigen Sekunden kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Ihre Augenlider waren schlaff, ihr Gesicht voller Falten. Sie musste in den Sechzigern sein, ging vielleicht schon mehr auf die siebzig zu. Ihr krummer Rücken, die Hornhaut an den Fingerkuppen waren der Beweis für die vielen Jahre harter Arbeit mit Nadel und Faden und Schneiderschere. Zuerst als einfache Näherin, dann als Gesellin in der Schneiderei. Später als Geschäftsinhaberin und am Ende als Seemann ohne Schiff, untätig. Doch sie war längst nicht am Ende, oh nein. Ihre flinken Augen, klein und dunkel wie

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