Das Echo der Traeume
dem Schönheits- und Friseursalon verfolgt, vielleicht sogar von meiner Wohnung aus. Er war Hunderte von Metern hinter mir hergelaufen, hatte beobachtet, wie ich an der Kinokasse meine Eintrittskarte bezahlte, wie ich durch das Foyer und in den Kinosaal ging, wie ich zu einem Platz geleitet wurde. Doch es hatte ihm nicht genügt, mich heimlich zu beobachten, ohne dass ich ihn bemerkte. Als er mich entdeckt hatte, ließ er sich nur wenige Meter von mir entfernt nieder und versperrte mir so den Weg zum Ausgang. Und ich, noch niedergedrückt von der Nachricht über Beigbeders Entlassung, hatte im letzten Moment unvorsichtigerweise beschlossen, Hillgarth nicht mit meinem Verdacht zu behelligen, obwohl er sich im Laufe der Tage erhärtet hatte. Mein erster Gedanke war, sofort zu flüchten, aber ich sah mit einem Blick, dass ich in der Falle saß. Auf der rechten Seite kam ich nicht auf den Gang, ohne dass der Mann mich vorbeiließ, auf der linken Seite müsste ich etliche Kinogäste bitten, entweder aufzustehen oder die Beine einzuziehen, damit ich vorbeikam, und sie würden natürlich verärgert protestieren. Gleichzeitig hätte der Unbekannte dann genügend Zeit, seinen Platz zu verlassen und mir zu folgen. Da erinnerte ich mich wieder, was Hillgarth mir bei unserem Essen in der amerikanischen Gesandtschaft geraten hatte: ruhig und gelassen bleiben, Normalität vorschützen – schon bei dem Verdacht, dass man überwacht wurde.
Die Dreistigkeit des Unbekannten im Trenchcoat verhieß jedoch nichts Gutes. Bislang hatte er mich heimlich überwacht, nun plötzlich zeigte er sich offen und demonstrativ, als wollte er sagen: » Hier bin ich, schauen Sie gut hin. Damit Sie wissen, dass ich Sie überwache, dass ich weiß, wohin Sie gehen. Damit Sie sich bewusst sind, dass ich mich jederzeit und ohne jede Mühe in Ihr Leben einmischen kann. Sehen Sie, heute bin ich Ihnen ins Kino gefolgt und habe Ihren Fluchtweg blockiert, morgen kann ich mit Ihnen machen, wonach mir der Sinn steht.«
Ich tat, als schenkte ich ihm keine Beachtung, und obwohl ich mich zwang, mich auf den Film zu konzentrieren, gelang es mir nicht. Völlig sinn- und zusammenhanglos liefen die Szenen vor meinen Augen ab: ein düsteres, majestätisches Herrenhaus, eine dämonisch wirkende Haushälterin, eine Protagonistin, die sich ständig falsch verhielt, und dazu der allgegenwärtige Geist einer faszinierenden Frau. Der ganze Kinosaal schien der Filmhandlung wie gebannt zu folgen. Mich beschäftigte jedoch viel mehr eine Person ganz in meiner Nähe. Während sich die Zeit dahinschleppte und auf der Leinwand Bilder in Schwarz-Weiß und Grau einander ablösten, ließ ich mehrere Male meine Haare über die rechte Gesichtshälfte fallen und versuchte, den Unbekannten unauffällig unter die Lupe zu nehmen, konnte aber auf die Entfernung und in der Dunkelheit des Kinosaales sein Gesicht nicht erkennen. Doch es entspann sich zwischen uns eine Art stumme Beziehung, als würde uns das gemeinsame Desinteresse an dem Film miteinander verbinden. Keiner von uns beiden verfolgte atemlos, wie die namenlose Protagonistin eine Porzellanfigur zerbrach, und wir klammerten uns auch nicht angstvoll an den Sitz, als die Haushälterin sie aufforderte, sich aus dem Fenster zu stürzen. Und es gefror uns auch nicht das Blut in den Adern bei dem Gedanken, dass Maxim de Winter vielleicht selbst der Mörder seiner untreuen Gattin gewesen war.
Als nach dem Bild des brennenden Manderley das Wort Ende auf der Leinwand erschien, ging das Licht an, und plötzlich war der ganze Saal erhellt. Meine erste Reaktion war, mein Gesicht zu verbergen: Aus irgendeinem absurden Grund hatte ich das Gefühl, dass mich die Dunkelheit vor den Augen des Verfolgers geschützt hatte, dass ich nun verletzlicher war. Ich senkte den Kopf, sodass mir die Haare wieder ins Gesicht fielen, und tat, als würde ich etwas in meiner Handtasche suchen. Endlich hob ich den Blick ein wenig und spähte nach rechts – der Mann war verschwunden. Ich blieb noch im Parkett sitzen, bis auch der Abspann durchgelaufen und mir fast übel war vor Angst. Nun gingen alle Lichter an, die letzten Zuschauer verließen den Saal, und die Platzanweiser kamen herein, um zwischen den Sitzreihen nach Abfall und vergessenen Gegenständen Ausschau zu halten. Erst da nahm ich all meinen Mut zusammen und stand ebenfalls auf.
Das große Foyer war noch immer voller Menschen, es war sehr laut: Draußen ging ein Platzregen nieder, und die
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