Das Echo der Traeume
düsteren Kasten, der bis heute mein offizielles Domizil war, allein zu sein.«
» Dann schlafen Sie hier, wenn Sie möchten«, bot ich ihm an. Ich wusste, es war eine Dreistigkeit meinerseits, ihn einzuladen, die Nacht in meiner Wohnung zu verbringen, aber ich ahnte instinktiv, dass er in seinem Zustand alle möglichen verrückten Dinge anstellen konnte, wenn ich ihn vor die Tür setzte und ihn allein durch die Straßen Madrids irren ließ.
» Ich fürchte, ich werde kein Auge zubekommen«, gestand er mit einem traurigen Lächeln, » aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn ich mich hier ein wenig ausruhen könnte. Ich werde Ihnen keine Umstände machen, ich verspreche es. Es wird wie eine Zuflucht inmitten des Sturms für mich sein. Sie können sich nicht vorstellen, wie bitter die Einsamkeit des Verstoßenen schmeckt.«
» Fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich bringe Ihnen gleich eine Decke, falls Sie sich hinlegen wollen. Legen Sie doch das Jackett und die Krawatte ab, machen Sie es sich bequem.«
Er befolgte meinen Rat, während ich mich auf die Suche nach einer Decke machte. Als ich zurückkam, saß er in Hemdsärmeln da und schenkte sich wieder ein.
» Das ist das letzte Glas«, sagte ich energisch und brachte die Cognacflasche weg.
Auf dem Tisch ließ ich einen sauberen Aschenbecher und auf der Rückenlehne des Sofas eine Decke. Dann setzte ich mich neben ihn und fasste ihn sanft am Arm.
» Alles geht vorbei, Juan Luis, es braucht einfach seine Zeit. Irgendwann, früher oder später, geht alles vorbei.«
Ich ließ den Kopf auf seine Schulter sinken, und er legte seine Hand in die meine.
» Ihr Wort in Gottes Ohr, Sira«, erwiderte er leise.
Ich ließ ihn allein mit seinen Dämonen und ging zu Bett. Auf dem Weg in mein Zimmer hörte ich ihn mit sich selbst in Arabisch sprechen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einschlief, wahrscheinlich war es schon nach vier Uhr morgens geworden, als ich endlich in einen unruhigen, merkwürdigen Schlaf fiel. Das Geräusch der ins Schloss fallenden Wohnungstür weckte mich. Ich sah auf den Wecker. Es war zwanzig Minuten vor acht. Ich sollte Beigbeder nie wiedersehen.
42
Die Befürchtung, dass ich möglicherweise überwacht wurde, trat mit einem Mal in den Hintergrund. Ehe ich Hillgarth mit Vermutungen belästigte, die vielleicht vollkommen unbegründet waren, musste ich sofort mit ihm Kontakt aufnehmen, um ihm meine Informationen und die Briefe übergeben zu können. Viel wichtiger als meine Ängste war nun Beigbeders Lage: für ihn selbst, für meine Freundin, für alle Beteiligten. Deshalb zerriss ich an diesem Morgen das Schnittmuster, auf dem ich meine mutmaßliche Überwachung mitteilte, in tausend Stücke und fertigte ein neues an: » Beigbeder gestern Nacht bei mir. Weg aus Ministerium, äußerst nervös. In Arrest nach Ronda. Fürchtet um sein Leben. Übergab mir Briefe für Sra. Fox Lissabon mit Diplomatengepäck Botschaft. Erbitte dringend Anweisungen.«
Ich überlegte, ob ich mittags ins Embassy gehen sollte, um dort Kontakt zu Hillgarth aufzunehmen. Dass Beigbeder seines Amtes als Außenminister enthoben worden war, hatte er sicherlich schon am frühen Morgen gehört, aber ich wusste, dass alle anderen Einzelheiten, die ich vom Oberst erfahren hatte, für ihn ungeheuer interessant sein konnten. Außerdem ahnte ich, dass ich die Briefe für Rosalinda möglichst schnell weitergeben musste: Ich kannte ja die aktuelle Lage des Absenders und war daher überzeugt, dass sie nicht nur Liebesschwüre enthielten, sondern auch brisantes politisches Material, das sich auf keinen Fall in meinem Besitz befinden sollte. Doch wir hatten Mittwoch, und wie jeden Mittwoch stand ein Besuch im Schönheits- und Friseursalon Rosa Zavala auf dem Programm. Daher beschloss ich, lieber den üblichen Weg der Übergabe zu nutzen, als durch eine Sonderaktion Alarm auszulösen, denn sie hätte nur ein paar Stunden Zeitgewinn gebracht. Also zwang ich mich, den Vormittag über zu arbeiten, empfing zwei Kundinnen, aß wenig und ohne Appetit zu Mittag und machte mich dann mit den zusammengerollten Schnittmustern, die ich in ein Seidentuch gewickelt hatte, in der Tasche um Viertel vor vier auf den Weg zum Salon. Es sah nach Regen aus, aber ich nahm trotzdem kein Taxi. Ich musste ein wenig frische Luft schnappen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Unterwegs rief ich mir noch einmal Beigbeders beunruhigenden Besuch ins Gedächtnis und überlegte, was Hillgarth und seine Mitarbeiter
Weitere Kostenlose Bücher