Das Echo der Traeume
aber Zeit gewinnen, um das Ganze erst einmal zu begreifen.
Er zog eine Brieftasche aus seinem Jackett und klappte sie mit einer Hand so schnell und geschickt auf, dass er diese Bewegung wahrscheinlich schon oft gemacht hatte. Und tatsächlich, da klebte sein Foto, da stand sein Name, daneben seine Funktion und die Behörde, die er gerade genannt hatte.
» Einen Augenblick«, flüsterte ich.
Ich ging in mein Zimmer, riss eine weiße Bluse und einen blauen Rock aus dem Schrank, dann zog ich die Schublade mit der Unterwäsche auf, um frische Wäsche herauszunehmen. Dabei berührte ich mit den Fingerspitzen Beigbeders Briefe, die unter der Wäsche versteckt waren. Ich zögerte kurz, wusste nicht recht, was ich mit ihnen machen sollte: sie dort lassen, wo sie lagen, oder schnell einen Platz suchen, wo sie sicherer waren. Hastig sah ich mich im Zimmer um: vielleicht auf dem Schrank, vielleicht unter der Matratze. Vielleicht zwischen den Bettlaken. Oder hinter dem Spiegel des Frisiertisches. Oder in einem Schuhkarton.
» Beeil dich, bitte«, rief Ignacio aus dem Salon.
Ich schob die Briefe ganz nach hinten, legte einige Höschen darüber und schloss die Schublade mit einem heftigen Ruck. Jeder andere Platz war als Versteck genauso gut oder schlecht wie dieser, ich wollte das Schicksal lieber nicht herausfordern.
Ich trocknete mich ab, zog mich an, nahm meinen Pass aus dem Nachttischchen, ging in den Salon zurück und reichte ihm meine Papiere.
» Arish Agoriuq«, las er langsam vor. » Geboren in Tanger, wohnhaft in Tanger. Am selben Tag geboren wie du, was für ein Zufall.«
Ich erwiderte nichts. Mir war plötzlich, als müsste ich mich gleich übergeben, nur mit Mühe konnte ich den Brechreiz unterdrücken.
» Darf man wissen, wozu dieser Wechsel der Nationalität?«
Mein Verstand fabrizierte blitzschnell eine Lüge. Mit einer solchen Situation hatten weder ich noch Hillgarth gerechnet.
» Man hatte mir meinen Pass gestohlen, und ich konnte keinen neuen in Madrid beantragen, weil wir mitten im Krieg waren. Ein Freund hat es arrangiert, dass ich die marokkanische Nationalität bekommen und damit problemlos reisen konnte. Es ist kein falscher Pass, du kannst ihn überprüfen.«
» Das habe ich bereits getan. Und der Name?«
» Man fand es besser, ihn zu ändern, damit er arabischer klingt.«
» Arish Agoriuq? Ist das arabisch?«
» Das ist Tarifit, die Sprache der Rifkabylen«, log ich, da ich mich an Beigbeders linguistische Ausführungen erinnerte.
Daraufhin sagte er nichts, sondern sah mich eine Weile unverwandt an. Mir war noch immer ziemlich übel, aber ich unterdrückte den Brechreiz mit aller Kraft, damit ich nicht plötzlich ins Bad rennen musste.
» Und was ist der Zweck deines Aufenthalts in Madrid?«, wollte er schließlich wissen.
» Arbeiten. Schneidern wie immer«, erwiderte ich. » Diese Wohnung ist ein Schneideratelier.«
» Davon möchte ich mich selbst überzeugen.«
Ich führte ihn in den hinteren Salon und zeigte ihm wortlos die Stoffballen, die Schneiderpuppen und die Modemagazine. Dann ging ich mit ihm den Flur entlang und öffnete ihm alle Zimmertüren – die Anproben, makellos sauber, die Kundentoilette, das Nähatelier voller Zuschnitte, Schnittmuster und Schneiderpuppen mit halb fertigen Kleidern. Das Bügelzimmer, in dem mehrere Kleidungsstücke warteten. Zu guter Letzt der Lagerraum. Wir gingen nebeneinander, Seite an Seite, wie wir früher ein kleines Stück unseres Lebensweges miteinander gegangen waren. Mir fiel wieder ein, dass er damals fast einen Kopf größer war als ich, jetzt schien der Unterschied nicht mehr so groß. Doch nicht mein Gedächtnis spielte mir einen Streich. Damals, als ich nur ein Schneiderlehrling und er Beamtenanwärter war, trug ich kaum Schuhe mit Absatz. Heute, fünf Jahre später, reichte ich ihm dank meiner Absätze bis zur Nase.
» Was ist ganz hinten?«, fragte er.
» Mein Schlafzimmer, zwei Badezimmer und vier weitere Zimmer. Zwei sind Gästezimmer, die anderen beiden stehen leer. Außerdem das Esszimmer, die Küche und der Hausarbeitsraum«, zählte ich auf.
» Ich möchte die Zimmer sehen.«
» Wozu?«
» Ich brauche dir keine Begründung zu geben.«
» In Ordnung.«
Also zeigte ich ihm mit einem mulmigen Gefühl einen Raum nach dem anderen und gab mich ganz gelassen, obwohl ich mich sehr anstrengen musste, damit meine Hand auf der Türklinke oder dem Lichtschalter nicht allzu sehr zitterte. Beigbeders Briefe für Rosalinda lagen
Weitere Kostenlose Bücher