Das Echo der Traeume
murmelten wir beide unisono.
» Wie gesagt, Sie erholen sich, und sobald es geht, fangen Sie an zu arbeiten.«
Er sah mir noch einmal in die Augen und schien einen Moment zu zögern, ob er mir zum Abschied die Hand geben sollte oder nicht. Dann entschied er sich doch, es sein zu lassen, und beschloss das Gespräch mit einem knappen Satz, der gleichzeitig Rat und Prophezeiung war: » Passen Sie auf sich auf, wir sprechen uns!« Dann verließ er die Pension und lief leichtfüßig die Treppe hinunter, während er sich den Hut zurechtrückte. Wir sahen ihm von der Tür aus schweigend nach, bis wir ihn aus dem Blick verloren, und wollten gerade wieder in die Wohnung gehen, als wir ihn von unten laut heraufrufen hörten:
» Ich lasse Sie beide ins Gefängnis schaffen, und nicht einmal der heilige Leonhard holt Sie dort heraus!«
» Verflucht seien deine Vorfahren, du Scheißkerl!«, war das Erste, was Candelaria sagte, nachdem sie die Eingangstür mit einem kräftigen Stoß ihres dicken Hinterns zugedrückt hatte. Dann sah sie mich mit einem müden Lächeln an, um meine Verwirrung zu mildern: » Ein Teufelskerl, dieser Mann. Er macht mich vollkommen verrückt. Ich weiß nicht, wie er das anstellt, aber ihm entgeht rein gar nichts, und ich habe ihn dauernd am Hals.«
Dann tat sie einen so tiefen Seufzer, dass sich ihr gewaltiger Busen hob und senkte, als steckten zwei aufblasbare Ballons unter ihrem stramm sitzenden Kleid aus Perkal.
» Komm, Herzchen, herein mit dir, ich bringe dich in einem der hinteren Zimmer unter. Ach, dieser verfluchte Aufstand! Er hat alles durcheinandergebracht, auf den Straßen herrscht seitdem nur Krawall und in den Kasernen fließt das Blut! Hoffentlich hat dieses Durcheinander bald ein Ende, damit wir wieder unser gewohntes Leben führen können! Ich muss jetzt weg, ein paar Sachen erledigen. Du bleibst hier und richtest dich ein, und wenn ich zur Essenszeit zurückkomme, erzählst du mir alles in Ruhe.«
Und auf Arabisch rief sie nach einem Mädchen, das auf der Stelle aus der Küche kam und sich noch die Hände an einem Lappen abwischte. Es war höchstens fünfzehn Jahre alt. Die beiden räumten erst einmal allerlei Gerümpel aus der kleinen, fensterlosen Kammer, die von dieser Nacht an mein Zimmer sein sollte, und dann bezogen sie das Bett neu. Und in dieser Kammer richtete ich mich ein, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie lange ich dort wohnen und welchen Kurs meine Zukunft nehmen würde.
Candelaria Ballesteros, in Tetuán besser bekannt als Candelaria die Schmugglerin, zählte siebenundvierzig Jahre und hatte, wie sie mir zu verstehen gab, schon mehr Kugeln an sich vorbeipfeifen hören als ein Infanterist der örtlichen Kaserne. Sie galt als Witwe, wusste aber nicht einmal selber, ob ihr Gatte auf einer seiner zahlreichen Reisen nach Spanien wirklich den Tod gefunden hatte oder ob der Brief, den sie vor sieben Jahren aus Málaga erhielt, der Brief mit der Nachricht, dass er an Lungenentzündung gestorben sei, nicht bloß die Lügengeschichte eines abgefeimten Hallodris war, der sich aus dem Staub machen und sichergehen wollte, dass man nicht nach ihm suchte. Um dem armseligen Leben als Tagelöhner auf den andalusischen Ölbaumpflanzungen zu entgehen, ließ das Paar sich 1926, nach dem Rifkrieg, im Protektorat nieder. Seit damals widmeten sich die beiden den unterschiedlichsten Geschäften, allesamt eher unergiebig, deren bescheidenen Gewinn er sinnigerweise gleich wieder bei Kneipentouren, im Bordell und für zahllose Gläser Weinbrand Fundador ausgab. Kinder hatten sie keine, und als ihr Francisco verschwand, ließ er sie allein und ohne die Kontakte nach Spanien zurück, mangels derer sie das Schmugglergeschäft mit allem, was ihr in die Finger kam, nicht weiterbetreiben konnte. Und so beschloss Candelaria, ein Haus zu mieten und dort eine kleine bescheidene Pension einzurichten. Doch das hinderte sie nicht daran, sich weiter mit Kauf und Verkauf, Rückkauf und Wiederverkauf, Tausch und Umtausch von allem, was ihr in die Hände fiel, zu beschäftigen und sich darum zu streiten. Münzen, Zigarettenetuis, Briefmarken, Füllfederhalter, Strümpfe, Uhren, Feuerzeuge: alles von zweifelhafter Herkunft, alles mit ungewisser Zukunft.
In ihrem Haus in der Calle Luneta, zwischen maurischer Altstadt und dem neuen spanischen Viertel, beherbergte sie unterschiedslos jeden, der an ihre Tür klopfte und um ein Nachtlager bat, meistens Leute mit wenig Habseligkeiten und noch weniger
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