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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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vor, als würden die Möbel häufiger knacken, als hörte ich Schritte auf den Bodenfliesen in der Diele, als würden mich die Schatten an den frisch gestrichenen Wänden belauern. Noch ehe sich der erste Sonnenstrahl erahnen ließ, stand ich auf. Ich konnte meine Unruhe nicht eine Sekunde länger unterdrücken. Ich ging in den Salon, öffnete die Fensterläden und lehnte mich hinaus, um die Morgendämmerung zu erwarten. Vom Minarett einer Moschee erklang der Ruf zum fadschr, dem ersten Gebet des Tages. Noch war kein Mensch in den Straßen zu sehen, und der Gorgues, im Halbdunkel kaum wahrnehmbar, begann sich im ersten Tageslicht majestätisch gegen den Himmel abzuzeichnen. Nach und nach, ganz gemächlich, erwachte die Stadt. Die marokkanischen Hausmädchen, eingewickelt in ihren Haik und Umhängetücher, trafen eines nach dem anderen ein. Umgekehrt verließen die Männer das Haus, um zur Arbeit zu gehen, und Grüppchen von Frauen mit einem schwarzen Schleier auf dem Kopf machten sich zu zweit oder zu dritt eilig auf den Weg zur Frühmesse. Wie die Kinder zur Schule marschierten, sah ich nicht mehr, und ebenso wenig, wie die Geschäfte und die Büros öffneten, wie die Dienstmädchen losgingen, um warme churros zu kaufen, wie die Familienmütter sich auf den Weg zum Markt machten, wo sie die Produkte auswählten, die ihnen die einheimischen Händler dann in Körben auf dem Rücken ins Haus lieferten. Vorher ging ich wieder in den Salon und setzte mich auf mein funkelnagelneues, mit granatfarbenem Taft bezogenes Sofa. Zu welchem Zweck? Um darauf zu warten, dass sich mein Schicksal endlich zum Besseren wandte.
    Jamila kam zeitig. Wir lächelten uns nervös an, es war der erste Tag für uns beide. Candelaria hatte mir ihr Dienstmädchen überlassen, und ich war ihr dankbar für diese Geste. Wir hatten uns sehr lieb gewonnen, das junge Mädchen würde mir eine Verbündete sein, eine kleine Schwester. » Ich finde in zwei Minuten wieder eine Fátima, nimm du Jamila mit, sie ist ein braves Mädchen und wird dir eine große Hilfe sein, du wirst sehen.« Also kam die sanfte Jamila mit mir, froh, der vielen Hausarbeit in der Pension zu entrinnen und an der Seite ihrer siñorita eine neue Beschäftigung zu bekommen, die ihr in ihren jungen Jahren ein weniger kräftezehrendes Leben ermöglichte.
    Jamila kam, ja, aber nach ihr niemand mehr. Nicht an jenem ersten Tag, nicht am folgenden, nicht am dritten Tag. Jeden Morgen schlug ich vor Tagesanbruch die Augen auf und machte mich mit derselben Sorgfalt zurecht. Kleidung und Frisur tadellos, Wohnung und Atelier blitzsauber. Die Hochglanzmagazine mit den eleganten lächelnden Frauen auf dem Titelblatt ausgelegt, mein Handwerkszeug im Atelier griffbereit – alles bis ins letzte Detail perfekt in Erwartung einer Kundin, die nach meiner Dienstleistung verlangte. Doch es schien, als hätte niemand diese Absicht.
    Manchmal hörte ich Geräusche, Schritte, Stimmen auf der Treppe. Dann lief ich auf Zehenspitzen zur Tür und sah ungeduldig durch den Spion, aber ich wurde stets enttäuscht. Das Auge an das Guckloch gepresst sah ich Kinder geräuschvoll vorbeihüpfen, Frauen in Eile und Väter mit Hut vorbeigehen, schwer beladene Dienstmädchen, Burschen, die irgendwelche Waren lieferten, die Hausmeisterin mit ihrer Schürze, den hustenden Briefträger und zahllose andere Statisten des Lebenstheaters. Doch es kam niemand, der sich seine Garderobe von mir anfertigen lassen wollte.
    Ich war unschlüssig, ob ich Candelaria Bescheid sagen oder mich weiter in Geduld üben sollte. Nach zwei, drei Tagen wusste ich fast nicht mehr, wie lange ich schon zögerte. Doch schließlich fasste ich einen Entschluss. Ich würde in die Calle Luneta gehen und Candelaria bitten, ihre Kontakte verstärkt zu nutzen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit die potenziellen Kundinnen erfuhren, dass mein Schneideratelier bereits Aufträge entgegennahm. Entweder hatte sie Erfolg oder unser Gemeinschaftsunternehmen würde sein Ende finden, noch ehe es richtig angefangen hatte. Dazu hatte ich jedoch keine Gelegenheit mehr, denn ausgerechnet an jenem Vormittag läutete es endlich an der Tür.
    » Guten Morgen. Mein Name ist Heinz, ich bin neu in Tetuán und benötige einiges zur Ergänzung meiner Garderobe.«
    Ich empfing sie in einem Kostüm, das ich mir wenige Tage zuvor erst genäht hatte. Ein schmaler rauchblauer Bleistiftrock, dazu eine taillierte Jacke, ohne Bluse darunter, deren erster Knopf exakt einen Millimeter

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