Das Echo der Vergangenheit
niedergeschlagen den Kopf. »Nein. Sie waren nett. Sie waren meine Freunde.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl ein Stück weiter hinunter. »Er will nicht, dass ich Freunde habe.«
Das hatte sie schon einmal gesagt, aber durch das Verhalten ihres Vaters bekam die Sache eine ganz andere Dimension. Es war eine Sache, eine Bedrohung zu vermuten – ob tatsächlich oder eingebildet – und seine Tochter vor potenziellen Gefahren zu beschützen, aber es war etwas völlig anderes, sich Menschen vorzunehmen, die freundlich zu Carly gewesen waren oder sich Sorgen um sie gemacht hatten.
Sie presste eine Hand auf ihren Bauch.
»Vielleicht hilft dein Tee.«
Sie trank einen Schluck. »Du willst Sofie heiraten, oder?«
Ihre Unverblümtheit überrumpelte ihn. »Davon sind wir meilenweit entfernt.«
»Das heißt, du schläfst nur mit ihr?« Nicht so unschuldig, wie sie aussah.
»Das geht dich eigentlich nichts an, aber du hast ja gehört, was ich zu Mrs. Michelli gesagt habe.«
»Du hast nicht gesagt, dass du es nicht tust. Nur, dass Sofie dasselbe gesagt hat.«
Er betrachtete das Kind. »Du bist eine gute Zuhörerin.«
Sie zuckte mit den Schultern. Vielleicht wusste sie mehr über das Verhalten ihres Vaters, als sie zugeben wollte.
»Dein Dad hatte Freundinnen?«
Sie schniefte. »Nicht so richtig.« Sie führte ihre Bemerkung nicht aus. Vielleicht unterschied sie zwischen Sexualpartnern und jemandem, der wichtig war. Wenn er seiner Tochter seine ganze Zuneigung widmete, dann würde für jemand anders nur Kleingeld übrig bleiben. Was also hatte Sofie ihn gekostet?
Und was würde Carly sie jetzt kosten? Ihm wurde bewusst, dass er Sofie nicht mit Altlasten sehen wollte. So lieb das Mädchen auch schien, sie war das Kind des Mannes, der beinahe Sofies Leben ruiniert hätte. Und welche Manipulationstechniken hatte sie gelernt und aufgesogen? Oder geerbt?
Er lehnte sich zurück und blickte zu der Tür, durch die leise die Stimmen der beiden Frauen drangen.
Sie folgte seinem Blick. »Was passiert jetzt?« Verletzlichkeit ließ ihre Stimme zittern.
»Was würdest du dir denn wünschen?«
»Ich will Sofie zurück, aber auf eine ‚Ich weiß, dass ich sie nicht haben kann‘-Art.«
»Wie in einem Traum?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Erinnerst du dich überhaupt an sie?«
»Na klar. Ich erinnere mich an alles.«
»Gutes Gedächtnis. Es ist lange her. Bei den meisten Kindern verblassen die Erinnerungen.«
Einen kurzen Moment lang blickte sie ihm direkt in die Augen – vielleicht um seine Laune einzuschätzen? »Wenn ich mich nicht an sie erinnern würde, warum hätte ich dann angerufen?«
»Warum hast du sie denn angerufen? Hat dein Dad dich darum gebeten?«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Klar. Ich hab totalen Stress gekriegt, als er es gemerkt hat.«
»Was für Stress? Was hat er denn gemacht?«
Sie presste die Lippen zusammen, während ihre Wangen sich röteten. Eine Sekunde später rannte sie ins Bad und übergab sich. Das konnte die belastende Situation sein; oder sie war wirklich krank gewesen, als sie angerufen hatte. Für eine Essstörung war sie noch ein bisschen zu klein, aber bei dem Stress, dem sie ausgesetzt war, wäre es keine allzu große Überraschung. Anstatt an den Tisch zurückzukehren, ging sie in das Zimmer, das Sofie ihr überlassen hatte, und legte sich hin. Die Tür ließ sie offen.
Sofie kam in die Küche zurück. »Wir essen mit Mama und Pop. Lance würde dich jetzt warnen.«
»Warnen?«
»Mama hat kein Händchen beim Kochen.«
»Darüber habt ihr gesprochen? Übers Abendessen?«
Sie kam und setzte sich zu ihm. »Sie will mit eigenen Augen sehen, dass du nicht vorhast, mich bei lebendigem Leibe zu verschlingen und« – sie senkte die Stimme – »dass Carly mich nicht hergelockt hat, damit ich zu Eric zurückgehe.« Sie blickte in Richtung Schlafzimmer. »Geht es ihr wieder schlechter?«
»Sie könnte Bulimie haben. Sie hat gebrochen und sich ins Bett gelegt.«
Sofie runzelte die Stirn. »Hat sie sich über irgendetwas aufgeregt?«
»Du meinst, habe ich sie aufgeregt? Sie wollte mir nicht erzählen, was passiert ist, als sie ‚Stress gekriegt‘ hat, nachdem sie dich zum ersten Mal angerufen hatte.«
»Oh.« Sofie blickte auf ihre Hände hinunter. »Ich hätte dich nicht in die Sache hineinziehen sollen.«
»Das hast du auch nicht.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. »Ich bin hier, weil ich es so will.«
»Und das weiß ich zu schätzen. Aber Carly ist
Weitere Kostenlose Bücher